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Gutachten anerkannter Machmänner, wie der Mdhauer Schünthalcr und Hanns Gasser, insbesondere aber der Akademie
der bildenden Künste eingeholt.
IWährcnd die beiden Ersteren i» ihren Aeußerungen sich dahin nussprachcn, daß zur Herstellung der an der Kirche
erforderlichen üildhancrarbeiten die möglichst freie Eoncurrenz der auf diesem Gebiete tüchtigsten Künstler Wiens eröffnet
werden solle und dabei von einem bestimmenden Einflüsse der Gnuleitung gänzlich absahen, ja denselben sogar
perhorrcscirtcn, indem nach ihrer Anschauung das Hauptmomcnt, auf welches es bei diesem Nationalwcrke ankomme,
darin liege, daß es in seiner Dollendung ein Gild der derzeitigen Vcsammtentwickelung der Architektur und Plastik
abgebe: hob anderseits die Akademie der bildenden Künste in ihrem Gutachten mit Nachdruck hervor, daß, wenn em
Gauiverk in Wahrheit gediegen ausfallen, in Wahrheit ein Kunstwerk werden soll, vor allem Einheit der Conception
und Durchführung erforderlich und unerläßlich sei; daß derselbe künstlerische Gedanke, dem die Grundidee entsprang,
auch das zu ihrer vollen künstlerischen Erscheinung erforderliche Detail durchdringcn, verarbeiten und ausbilden müsse.
Dem Gauleiter müsse daher auch die volle Ureihcit der Wahl und die Nührung jener Hilfskräfte gewahrt bleiben, deren
er aus dem Gebiete der anderen Künste zum Schmucke feines Werkes bedarf, und kein fremdes Element dürfe ihm
hierbei aufgedrängt werden. Nur wenn der Gau als ein bis in's Detail einheitlich durchgebildetes und künstlerisch
gediegenes Ganzes erscheine, werde die Uotivkirchc sein, was der durchlauchtigste Stifter Erzherzog Nerdinand Max in
Ausficht stellte: „ein Juwel österreichischer Kuust."
Solle daher dem Unternehmen die Erreichung seines künstlerischen Zweckes in Wahrheit gesichert werden, sollen die
reichen Irüchte, die es für die Kunst tragen kann, wirklich reisen, so sei es vor allem nothwendig, daß dem Architekten,
dessen Plan gewählt worden sei, auch die Durchbildung und Ausführung dieses Planes zur Gänze und bis in's Detail
überlassen bleibe. Dieses von den Alten stets befolgte, aber darum durchaus nicht veraltete Princip sei von alten
Einsichtsvollen längsl als das allein richtige, als eine Hauptbedinguug des Wiederausschwunges der Architektur erkannt
und bei den besten Ganten nicht nur des Mittelalters, sondern auch der neuesten Zeit überall zur Geltung gekommen.
Deim Ausbaue des Eölner Domes stehe die gesnmmte ornamentale und figurale Ausstattung, deren erstere den Stein-
metzen, letztere hingegen einem einzigen Gildhauer übertragen fei, gänzlich unter der Leitung des Dombaumeistcrs, dem
alle Gcthciligten als Hilfskräfte untergeordnet find, und wo man von diesem Principe, wie z. G. bei den gemalten
Glasfcnstcrn, abzuweichen fich erlaubte, seien die Nachtheile nicht ausgeblieben. Ebenso sei der Gau der Aukirche in
München, einer der gelungeneren gothischen Kirchen der neueren Zeit, von dem Architekten Ohlmüller bis in's kleinste
Detail und in der Art geleitet worden, daß er die Zeichnungen zu den Altären und allen Einrichtungsstücken bis zu den
Thürbeschlägen und Parameuten herab lieferte und auch der Gildhauer Schonlaub die erforderlichen siguralen Sculpturcn
lediglich nach seinen Angaben und unter seiner Neberwachung ausführte. Ganz derfelbc Dorgang fei auch bei den übrigen
monumentalen Gauten in München, bei dem Gau des neuen Museums in Gcrlin, beim Gau des Theaters und der
neuen Gemäldegalerie in Dresden und ebenso auch bei jenem der neuen Parlamentshäuser in London befolgt worden.
E ine einheitliche Gauleitung fei aber in unfercr Zeit bei jedem in einem bestimmten Stile angelegten Gaue in noch viel
höherem Grade nothwendig, als sie es im Mittelaltcr war, weil unserer Zeit ein bestimmtes Stilgefühl, wie es in früheren
Perioden alle Künstler und das gesummte Publicum mehr oder minder durchdrang, gänzlich abgeht und die Schwester-
Künste der Architektur sich längst nicht mehr bescheiden wollen, den Forderungen dieser letzteren auch nur dort sich
unterzuordnen, wo es sich keineswegs um selbständige Werke der Gildhnucrci, sondern nur um den Schmuck und die
Decoration eines Gauwerkes handelt.
In der Ueberzeugung, daß der ganze Gau nur durch einen einheitlichen Gedanken geleitet werden solle und müsse, und
in der Hoffnung, hierdurch vielleicht zu dessen ausnahmsloser Anerkennung beizutragen, habe die k. k. Akademie der
bildenden Künste zwar auch zur Herstellung eines Altares durch die Kräfte und aus Kosten der sämmtlichen Professoren
f,ch erboten, dieses Anerbieten aber ausdrücklich an die Gedingung geknüpft, daß sie sich der Leitung des Architekten des
Votivkirchenbaues fügen wolle, um hierdurch, obschon sie jeder künstlerischen Aufgabe vollkommen gewachsene Künstler
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Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Titel
- Die Votivkirche in Wien - Denkschrift des Baucomités
- Autor
- Moriz Thausing
- Verlag
- Verlag von R. v. Waldheim
- Ort
- Wien
- Datum
- 1879
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 25.0 x 33.2 cm
- Seiten
- 148
- Schlagwörter
- Kirche, Kunstgeschichte, Architektur
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918