Seite - 31 - in Die Waffen nieder! - Eine Lebensgeschichte von Bertha von Suttner, Band 1

— 31 — und die Ablehnung desselben nur von Gott veranstaltet worden wären, um mcinen lauen Sinn zu erwärmen. Aber auch diesen Zweifel auszudrücken, wäre un- anständig gewesen. Sobald jemand den „lieben Gott" in den Mund genommen, gibt das dcm daran ge- knüpften Ansspruch eine gewisse salbungsvolle Im- munität. Was die vorgeworfene Lauheit anbelangt, so hatte dieser Vorwurf einige Begründung. Tante Marias Religiosität kam aus tiefstem Herzen, während ich mchr äußerlich fromm war. Mein Vatcr war in dieser Beziehung völlig indifferent, ebenso mein Gatte, also hatte ich weder von dem Einen noch dem Andern Anregung zn besonderem Glaubenseifer erhalten. Mich in die kirchlichen Lehren mit Begeisterung zu vertiefen, hatte ich anch niemals vermocht, da ich dieselben über- haupt nur mit Anwendung dcs „Nichtdarübernach- dcnken"-Prinzips unangefochten lassen konnte. Ich ging wohl allsonntäglich zur Messe nnd alljährlich znr Beichte; anch war ich bei diesen Ceremonien voll Ehrfurcht und Andacht; aber das Ganze war doch mehr oder minder eine Art standeZmäßigcr Etiqucttcnbcobachtnng; ich erfüllte di'c religiösen AnstaudZvflichtcn mit derselben Korrektheit, wie ich auf dem Kammcrball die Fignrcn der Lanciers ansfnhrte und die Hofrcvcrcnz machte, wenn die Kaiserin den Saal betrat. Unser Schlotz- kavlan in Niederüsterreich und der Nuntius in Wien konnten mir nichts vorwerfen, aber die von der Tante vorgebrachte Beschuldigung war wohl berechtigt. „Ja, mein Kind," fnhr sie sort, „im Gliick und im Wohlsein vergessen die Leute leicht ihren Heiland —