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durchaus längst in die Jahre gekommene literarische und filmische Sci-
ence-Fiction-Reminiszenzen (etwa zwischendemFilmFantastic Journey
von 1966 und neuen medizinischen Minimal-Robotik-Experimenten
der ETH, vgl.Reye 2019), aber auch solche an philosophischeKI-Se-
minare in den Achtzigern, politische Diskussionen über Berufsbilder,
noch ältere technologische Zukunftsprognosen, aber eben auch digital
gestützte Unterrichtsformen, derenModelle sich in vielen Jahren nur
graduellveränderthaben.EinigeprägendeElemente sindaber sicherneu
undwohl auchunvorhergesehen, so nebenderAllpräsenz des Internets
und der Vernetzung der Benutzer vor allem dieQuantität verfügbarer
individuellerDatenunddieMöglichkeiten ihrerVerwertung.
Für Historiker und Historikerinnen ist die Verflechtung von
NeuerungenundKontinuitäten in revolutionärenEntwicklungenkeine
neueErkenntnis.WennmandieDigitalisierunginderheutigenDynamik
tatsächlichals revolutionärenProzessansieht,dannmussmansichfragen,
was das für unsere Möglichkeiten bedeutet, die weitere Entwicklung
vorherzusagen,understrecht,wasesfürunserHandelnbedeutet,dasjain
einem Luhmann variierenden Sinn ebenfalls als Form systemischer
Selbstbeobachtung gesehenwerdenmuss.
Wie man Formen der Entwicklungsdynamik als grundsätzliches
kulturelles Phänomen verstehen kann, zeigte der russisch-estnische Li-
teratur- und Kultursemiotiker Jurij Lotman (1922–1993) in seinem
letzten Buchmit demTitelKultur und Explosion (1992, deutsch 2010).
LotmanskizzierteinbipolaresDoppelmodellkulturellerDynamiken:der
explosiven, bruchhaften einerseits und der sukzessiven, organischen,
evolutivenandererseits (Lotmann2010,15ff.und21ff.).Erstere,diewir
auchdisruptivnennenkönnten–dieÜbersetzungdesLotmanschenvzryv
mit Explosion ist nicht ganz präzise, da vzryv in einemweiteren Sinne
unbeabsichtigte, unkontrollierte, aber heftige Ereignisse auch etwa
emotionalerArtmeinenkann–, zeichnen sichnachLotmandurch eine
besondereUnvorhersehbarkeit derweiteren, umsomehr der längerfris-
tigenEntwicklung für dieBeteiligten, etwa durch eineTendenz zuBi-
furkationssituationen, aus. Trotz des idealtypischen Modells zweier
entgegengesetzter Pole vonDynamik sieht Lotman aber das sukzessive
und das umbruchhafte Progressionsmodell als eng verflochten an; oft
gehensieauchineinanderüber.SeineBeispielestammenimKernausder
Literatur, decken aber einen viel weiteren Bereich ab und enthalten
diskrete, aberunverkennbareBezügeaufdie russischeRevolution sowie
auf dieUmwälzungen nach demZusammenbruch der Sowjetunion, in
denen das Buch entstand.Unvorhersagbarkeitwurde in beiden histori-
SkalierteKontingenz 45
Was macht die Digitalisierung mit den Hochschulen?
Einwürfe und Provokationen
- Titel
- Was macht die Digitalisierung mit den Hochschulen?
- Untertitel
- Einwürfe und Provokationen
- Autoren
- Marko Demantowsky
- Gerhard Lauer
- Robin Schmidt
- Herausgeber
- Bert te Wildt
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Oldenburg
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-067326-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 206
- Schlagwörter
- Bildung, Schule, Technik, Universität, Digitalisierung
- Kategorie
- Technik