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Einleitung | 15
und Unsinn einzelner Schulen der Museumsdidaktik. Das titelgebende ›Problem der
Museen‹ ist nämlich, wie Valéry ja selbst andeutet, ein Problem der Moderne und
ihrer stetig anschwellenden Wissens- und Überlieferungsschätze schlechthin: Das
Wachstum der Speicher eilt den Mitteln ihrer sinnhaften Erschließung voraus.
Der Architekt und Grafikdesigner Richard Saul Wurman sollte 1989 – ohne sich
dabei auf Valérys konkreten Fall zu beziehen – eine Diagnose für die von Valéry im
Museum durchlittene Malaise liefern: »information anxiety«. Wurman, bekannt ge-
worden vor allem als Begründer der TED1-Konferenzen, definiert diesen Zustand als
»the black hole between data and knowledge. It happens when information doesn᾿t
tell us what we want or need to know« (Wurman 1989: 34). Die historische Situation,
in der Wurman diesen Begriff entwirft, ist die eines ›Informationszeitalters‹, welches
für ihn einen Etikettenschwindel darstellt: Tatsächlich nämlich sei es ein Zeitalter der
»non-information« (ebd.: 38), geprägt nicht etwa von der Verfügbarkeit von Wissen,
sondern von einer Schwemme weitgehend unnützer und aufgrund ihrer schieren
Masse kaum mehr interpretierbarer Daten. Die Duplizität der Fälle ist frappierend.
Wo Valéry jedoch letztlich nicht anders kann, als vor der Dichte der Ausstellung
und der Ausgesetztheit der Exponate zu kapitulieren und – ›gottbefohlen‹ – dem Mu-
seum den Rücken zu kehren, möchte Wurman Wege aufzeigen, die Informationsla-
wine zu bewältigen und das schwarze Loch zwischen Daten und Wissen zu schließen.
Das Mittel hierzu nennt Wurman bezeichnenderweise »information architecture«.2
Als Disziplin im Grenzbereich von Informationswissenschaft und Design angesie-
delt, thematisiert diese die Frage nach der Organisation von Wissensinhalten für ei-
nen möglichst optimalen Abruf – und schlägt zugleich begrifflich eine Brücke zwi-
schen dem Abstrakten und dem Konkreten. Die Architektur als Mittel der Ordnung
und Organisation des physischen Raumes wird zum Vorbild für den Umgang mit
immateriellen Wissensinhalten.
Es ist kein Zufall, dass Paul Valéry seinen eigenen Anfall von information anxiety
ausgerechnet im Museum erlebt, und nicht etwa im Archiv oder in der Bibliothek,
die ja ebenfalls Speicher kultureller Information und im Allgemeinen nicht weniger
gut gefüllt sind als die Museen. Archive und Bibliotheken nämlich häufen für ge-
wöhnlich inhaltlich abgeschlossene, einzelne Dokumente an und gewährleisten ihre
Zugänglichkeit über wie auch immer strukturierte Kataloge. Das Museum dagegen
arbeitet mit interpretationsoffenen und epistemisch unkonkreten Artefakten, deren
1 Abkürzung für Technology, Entertainment and Design. Diese seit 1984 jährlich zunächst
in Monterey und seit 2009 in Long Beach, Kalifornien stattfindenden Konferenzen führen
unter dem Motto Ideas Worth Spreading öffentlichkeitswirksam prominente Persönlich-
keiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur zusammen, deren Vorträge seit 2007 als
Videostreams auf der Homepage www.ted.com verfügbar gemacht werden.
2 Vgl. http://www.wurman.com/rsw/index.html vom 09.12.2012.
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien