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trennen« (Lovink 2010: 53).13 Diese Rhetorik des niederländischen Medienwissen-
schaftlers und Web-Aktivisten Geert Lovink bildet ganz unverblümt die Stoßrichtung
einer Medienwissenschaft ab, welche die Wissenskultur des WWW zuvorderst als
eine liest, in der klassische Institutionsgefüge und Machtmechanismen zerschlagen
und entwertet werden. Die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia taucht in diesem
Zusammenhang immer wieder als Beispiel für eine ›Schwarmintelligenz‹ auf, die
ohne jede Form von Institutionalisierung oder Expertenaufsicht sehr erfolgreich Sinn
produziert ‒ indem sie letztlich ihr Wissenssystem mit dem sozialen System ihrer
Nutzer verschränkt und damit zu einem Aushandlungsort dessen wird, was überhaupt
›wissenswert‹ ist (vgl. Lorenz 2009: 294). Dieser Perspektive diametral gegenüber
steht in laufenden Diskussionen der Medienwissenschaft die Frage nach Lenkung
und Fremdbestimmung im Umgang mit digitalen Medien ‒ und zwar gerade auch
durch kommerzielle Akteure. Die Suchmaschine Google und das in den vergangenen
anderthalb Jahrzehnten um sie herum entstandene Wirtschaftsimperium bilden nur
das augenfälligste Beispiel einer scheinbar völligen Vereinnahmung der Nutzermas-
sen durch profitorientierte Überwachungs- und Steuerungsmaschinerien ab, denen zu
entkommen kaum mehr möglich ist (vgl. u.a. Jeanneney 2007).
Während diese beiden Zugänge in sehr unterschiedliche Richtungen weisen, ist
ihnen doch eine zentrale Annahme gemein ‒ nämlich die, dass mit der Digitalisierung
klassische und etablierte Wissensinstitutionen wie Archive, Bibliotheken und Mu-
seen ebenso wie die sich mit ihnen verbindenden Expertensysteme zugunsten neuer
Akteure an Bedeutung verlieren. Entsprechend sind die spezifischen und konkreten
Medienwechsel und -wandel, die für diese Einrichtungen mit Digitalisierungser-
scheinungen einhergehen, meist von sehr viel geringerem Interesse als das Netz und
seine epistemischen Eigenarten selbst, für welche konkrete Dienste und Webseiten
nur mehr als illustrative Schaustücke herangezogen werden. Insofern bleibt das vir-
tuelle Museum aus der Perspektive der Medien- ebenso wie aus jener der Museums-
wissenschaft mindestens zur Hälfte unsichtbar: Medien- und Kommunikationswis-
senschaften sind blind für das institutionelle Selbstbild des Museums bzw. seinen
gesellschaftlichen Auftrag und sein Selbstverständnis in seiner konkreten Objekt-
und Raumbezogenheit. Der Museologie wiederum fehlen die medientheoretischen
Voraussetzungen, innerhalb derer sich das Museum in seinem Funktionieren als Me-
diensystem beschreiben und damit im Vollzug seiner Virtualisierung systematisieren
ließe.
Problematisch ist auch, dass beide Ansätze den Forschungsgegenstand ›virtuelles
Museum‹ als einen im Grunde bereits erschlossenen und benannten voraussetzen. In
der Museologie beschreibt der Begriff gemeinhin den Versuch, mittels digitaler Me-
dien ein museales Ausstellungsangebot nachzuahmen (vgl. Samida 2002: 24f.). Dies
13 Das Zitat wird unverkürzt noch einmal in Kapitel 5.4 dieser Arbeit wiedergegeben und
genauer eingeordnet.
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien