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Einleitung | 23
Um sich diesen Fragen zu nähern wird es unvermeidlich sein, den Bedrohungs-
gestus abzulegen, der zwei Jahrzehnte lang die Auseinandersetzung der Museums-
wissenschaft mit Computern bestimmt hat – ohne dabei aber diese Befürchtungen
blindlings vom Tisch zu fegen. Die zentrale Prämisse dieser Arbeit wird die sein,
dass das Museum nach einem Vierteljahrhundert Ausstellungstätigkeit im Internet
durchaus keine sterbende Institution ist und dass eine Auflösung des klassischen Mu-
seums in digitalen Angeboten bisher weder stattgefunden hat noch im Vollzug zu
sein scheint. Diese Prämisse ist freilich schwer zu beweisen. Es existiert derzeit so
gut wie keine empirische Besucherforschung, anhand derer sich nachhalten ließe, ob
virtuelle Museumsangeboten den physischen Häusern Besucher abjagen oder nicht ‒
bzw. ob sie sich womöglich gar positiv auf Besucherzahlen auswirken, was natürlich
genau das wäre, was sich Museen von ihren digitalen Präsenzen erhoffen. Die anti-
apokalyptische Grundhaltung dieser Arbeit der Museumsvirtualisierung gegenüber
stützt sich vor diesem Hintergrund auf zwei Sachverhalte: Erstens scheint die grund-
sätzliche Opposition virtuellen Museumsprojekten gegenüber zumindest in der zum
Druck gelangenden Fachliteratur seit Mitte der 2000er Jahre fast völlig erloschen zu
sein. Gestritten wird zwar noch über die Berechtigung kleiner wie großer Einzelun-
ternehmungen, kaum aber darüber, dass Museen sich prinzipiell auf die neuen Me-
dien und die Bedürfnisse eines auf diese hinsozialisierten Publikums einstellen müs-
sen. Zweitens ist der Autor dieser Arbeit in zahlreichen Gesprächen mit Museums-
theoretikern und -praktikern immer wieder in dem Eindruck bestätigt worden, dass
die Virtualisierung bisher an den meisten Häusern zu keinen merklichen Rückgängen
der Besucherzahlen geführt hat.
Die zweite zentrale Vorannahme der Studie ist die, dass es keine unabänderliche
›Essenz‹ des Museums gibt, sondern vielmehr ein historisches Fluktuieren seiner Be-
treiber, seiner Öffentlichkeiten, seines sozialen Auftrags und seiner Ausstellungsge-
genstände. Die Arbeit will und wird sich nicht an der Frage abarbeiten, ob ein virtu-
elles Museum tatsächlich ein Museum sein kann oder nicht. Sie setzt stattdessen aus
dem historischen Umstand, dass der Museumsbegriff seit der Antike eine Vielzahl
sehr unterschiedlicher Institutionen bezeichnet hat, voraus, dass sich sein Geltungs-
bereich auch in Zukunft verändern, weiten oder auch verengen könnte. Das ›virtuelle
Museum‹ beschwört einen sozialen Ort ebenso wie dessen mediale Beschaffenheit ‒
und entsprechend kann über virtuelle Museen nur im Kontext des klassischen Muse-
ums und der neuen Medien gesprochen werden.
Die Kategorien des Materiellen und des Räumlichen müssen in diesem Sinne pa-
radoxerweise sowohl relativiert als aber auch akzentuiert werden. Das Museum als
Mediensystem zu verstehen heißt notwendigerweise, sich von allen Verklärungen
und aller institutionellen Schwere frei zu machen und den musealen Raum ganz un-
romantisch als eine Ansammlung von Kommunikationsvorgängen, ihren materiellen
Trägern und natürlich den Kommunizierenden selbst zu begreifen. Zugleich aber
heißt es auch, sich Raum und Dinge sehr akribisch und systematisch anzuschauen
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien