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vermeintlich sehr klar eingegrenzter und mit klaren Konnotationen versehener Be-
griff eine Aufweichung erlebt, passiert im Falle der ›Virtualität‹ das genaue Gegen-
teil. Mit dem Adjektiv ›virtuell‹ verbanden sich von der Scholastik des Mittelalters
bis zu den Theorien Gilles Deleuzes und Vilém Flussers ontologisch schwierige Zu-
stände des ›Beinahe‹-Seins, des Impliziten, des Potenziellen, des Möglichen. Gegen-
wärtige Diskurse in Politik und Gesellschaft hingegen lassen es zunehmend synonym
mit ›irreal‹ werden und beschreiben mit ihm eine bestimmte Form scheinbarer, vor-
getäuschter Existenz von Dingen und Sachverhalten in Simulationen, die von digita-
len Technologien getragen werden. Damit wird ›Virtualität‹ zugleich zum Kampfbe-
griff in einer Auseinandersetzung darüber, was im Zeitalter digitaler Medien noch als
›real‹ gelten kann und darf.
In den zwei einleitenden Kapiteln dieser Studie sollen die Begrifflichkeiten von
›Museum‹ und ›Virtualität‹ sowohl in ihrer Historizität als auch in ihrer gegenwärti-
gen Verwendung thematisiert und geschärft werden. Ziel ist es dabei ausdrücklich
nicht, zu abschließenden Definitionen zu gelangen. Vielmehr wird es darum gehen,
die Nichtabschließbarkeit ihrer Bedeutungsebenen handhab- und fruchtbar zu ma-
chen. Insbesondere sollen Berührungspunkte zwischen der Institution des Museums
und dem Konzept der Virtualität herausgearbeitet werden, um diese dann in späteren
Kapiteln zu systematisieren und medientheoretisch einzuordnen.
Das Museum wird hier den Anfang machen. Eine umfassende, sämtliche Hinter-
gründe und Entwicklung einbeziehende Geschichte des Begriffs und der Institution
würde freilich den Rahmen dieser Arbeit sprengen.1 Aber im Rahmen eines kurzen
Galopps durch die Entwicklung des Museums seit seinen Ursprüngen in den Schatz-
häusern antiker Tempel sollte es zumindest möglich sein, einen Eindruck von seinem
Werden als Stätte des Sammelns und der Präsentation von Dingen zu vermitteln. Von
diesem historischen Aufriss ausgehend soll das Museum dann einer medientheoreti-
schen Analyse in mehreren Etappen unterzogen werden: Die Erste wird seine Epis-
temologie und die Grundlagen musealer Wissensproduktion in den Mittelpunkt stel-
len und dabei insbesondere nach den Eigenarten von ›Dingen‹ als Trägern von Be-
deutungen fragen. Eine besondere Rolle wird hier die ›Sperrigkeit des Materials‹ und
jene Unbestimmtheit musealer Objekte spielen, welche in der Ausstellungsgestaltung
sowohl zur Herausforderung als auch zum konstitutiven Element wird. Es wird dis-
kutiert werden, inwiefern Dinge als Zeichen gelesen werden können – und welche
Sinnstiftungsprozesse eben dort erst stattfinden, wo dies nicht mehr möglich ist. Hans
Jörg Rheinbergers Konzept des ›epistemischen Dings‹, welches die Entstehung von
Wissensinhalten über die kontextuelle Einbindung unbekannter Objekte in bekannte
1 Tatsächlich steht ein Standardwerk zu diesem Thema auch noch aus. Interessante De-
taildarstellungen finden sich u.a. bei Horst Bredekamp (2007) und Krzysztof Pomian
(2007). Eine umfassendere, systematische Museumsgeschichte versucht Hildegard
Vieregg (2008), und speziell für Deutschland Olaf Hartung (2010).
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien