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Objekte trat eine Fetischisierung des Reliktcharakters an sich. Entsprechend lagen
den Sammlungen der Epoche auch keine abstrakten didaktischen Konzepte zugrunde
– angestrebt wurden vor allem Umfang und Abwechslungsreichtum. Ihre Funktion
war für die Sammler in erster Linie repräsentativer Art und räumlich blieben sie de-
korativ über deren Wohnbereich verstreut (vgl. Samida 2002, 5). Erst in der Renais-
sance begann sich dies zu ändern, und die bestimmende Größe dieses Wandels sollte
eine neue, planvolle Form sein, Sammlungen in eigens dafür vorgesehenen Räum-
lichkeiten anzuordnen: Mit der Geburt der Kunst-, Naturalien- und Wunderkammern,
die vom 16. bis ins 18. Jahrhundert die proto-museale europäische Sammlungskultur
bestimmen sollten, zwang man den Dingen erstmals konkrete Sinninhalte auf.
1.1.3 Die Kunst-, Naturalien- und Wunderkammern
der frühen Neuzeit
Der Belgier Samuel Quiccheberg (1529–1567) verfasste im Jahre 1565 unter dem
Titel Inscriptiones vel tituli theatri amplissimi einen umfassenden Leitfaden über den
Zweck und idealtypischen Aufbau eines solchen Kabinetts. Den unmittelbaren An-
lass hierfür bildete die von 1562 bis 1567 andauernde Einrichtung der Münchener
Kunstkammer Herzog Albrechts V. von Bayern, mit welcher Quiccheberg als her-
zöglicher Berater beauftragt worden war. Die Inscriptiones verstanden sich indes aus-
drücklich als allgemeingültig (vgl. Bredekamp 2007: 33), enthielten sie doch nichts
Geringeres als die Leitlinien zur Abbildung einer Kosmologie durch die Anordnung
von Gegenständen in einem nunmehr explizit nur noch diesem Zweck gewidmeten
Ausstellungsraum. Beeinflusst von L᾿idea del theatro des italienischen Philosophen
Giulio Camillo (1480–1544) verstand Quiccheberg Sammlungsgegenstände nicht
nur als Objekte zauberhafter Befremdung, sondern als mnemotechnische Hilfsmittel
für das Erinnern von Wissensinhalten. Sie wurden damit von ›Wunderdingen‹, deren
Wirkung eben gerade in ihrer Nichtanschließbarkeit begründet lag, zu Vermittlungs-
instanzen, welche für ihr Funktionieren sehr spezifische Bindungen benötigten (vgl.
Hanak-Lettner 2011: 74ff.).
Ganz konkret schlägt Quiccheberg zu diesem Zweck eine Organisation der
Sammlung als eine Abfolge von fünf Abteilungen vor, welche nacheinander zu
durchschreiten sind. Die erste Abteilung führt über heilsgeschichtliche Darstellungen
zu einer Ahnengalerie des Fürsten sowie zu Karten, Modellen und Dioramen des
fürstlichen Herrschaftsgebietes und bindet damit die weltliche Herrschaft an die bib-
lische Offenbarung zurück. Die zweite Abteilung widmet sich dem einheimischen,
auswärtigen und auch antiken Kunsthandwerk – so z.B. Holzschnitzereien, Stein-
metzarbeiten, Glasbläserei, Weberei und Töpferei, ferner aber auch der Edelstein-
schneiderei, Münzprägung, Gold- und Silberschmiedearbeiten und schließlich
Druckplatten. Diese Abteilung verfolgt ein entschieden historisches Programm: Sie
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien