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entscheidende Moment der Rezeption durch den Besucher entzieht sich weitgehend
seinem Zugriff.
Damit wird der Begriff des ›Zeichens‹ – und mit ihm Pomians Deutung der Mu-
seumsdinge als Semiophoren – schlechthin problematisch. Folgt man z.B. der Zei-
chenkonzeption des Philosophen Günter Abel, so erhalten Zeichen ihre zeigende
Qualität grundsätzlich nur dadurch, dass sie erstens von ihren Beschauern einer In-
terpretation unterzogen werden, und dass sich zweitens jede ihrer Interpretationen
innerhalb eines Regelwerkes gleichsam verbindlicher wie aber auch verhandelbarer
Bedeutsamkeiten und Bezüglichkeiten vollzieht:
Zeigende Zeichen sind Zeichen, die das zeigen, was sie zeigen – und zwar weder aufgrund
einer den Zeichen vorab eingebauten okkulten Qualität (– das wäre die Magie der Zeichen)
noch aufgrund bloß subjektiver und beliebiger Deutungen seitens der Benutzer oder Interpreten
(– das wäre relativistische Beliebigkeit der Zeichen). Zeichen sind vielmehr, so die These, die
zeigenden Zeichen, die sie sind, aufgrund der zugrundeliegenden und im Zeigen bereits vo-
rausgesetzten sowie in Anspruch genommenen Interpretations-Praxis der Zeichen. Diese Praxis
umgrenzt, was sich auf welche Weise in und an einer Zeichenverwendung zeigt. (Abel 2000:
68)
Bemerkenswert ist hier, dass nach Abels Beobachtung die verbal gar nicht artikulier-
baren Prozesse der Zeicheninterpretation im Akt des Zeigens nahezu völlig ver-
schwinden und meist vollkommen unsichtbar bleiben. Zeigen und Verstehen schei-
nen in der Zeichenwahrnehmung eine unmittelbare Einheit zu bilden (vgl. ebd.).
Museumsdinge sind semiotisch zwar hochgradig aufgeladen, zugleich aber
ebenso hochgradig unbestimmt. Sie widersetzen sich hartnäckig der klaren und ver-
bindlichen Zuordnung von Signifikanten zu Signifikaten. Eine antike griechische
Vase z.B. kann auf eine Vielzahl historischer Sachverhalte und Tatbestände verwei-
sen: An ihrem Stil und ihrer Ausführung lassen sich Schlaglichter auf die Geschichte
antiker Kunst werfen, ihr Material und ihre Herstellung können technikgeschichtliche
Zeugnisse der Keramikproduktion sein, ihr Fundort kann Rückschlüsse auf den Ver-
lauf von Handelsrouten zulassen. In einem schriftlich niedergelegten Text wie dem
hier vorliegenden stellt sich die Sache völlig anders dar: Jeder Buchstabe verweist
auf einen klar definierten Laut, den menschliche Stimmbänder erzeugen können. In
einigen ebenso klar definierten Fällen kann eine bestimmte Letternfolge zwar durch-
aus einen Laut bedeuten, der von allen den einzelnen Buchstaben zugewiesenen ver-
schieden ist (man denke an das ›sch‹), aber auch hierfür gibt es ein enges Regelwerk.
Museumsdinge funktionieren hingegen nicht über ein kulturell etabliertes Codesys-
tem. Welche Geschichte die Vase im Museum schließlich erzählt, hängt davon ab,
wie die Ausstellung um sie herum beschaffen ist.
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien