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Das Museum: Ein Umriss | 69
Funktion jenes ›Medienpaktes‹ vorgibt, der die Museumsdinge überhaupt erst als au-
thentisch erfahrbar kennzeichnet.
Dies wirft wiederum die Frage nach einer möglichen Beliebigkeit der Museums-
dinge auf, welche vor allem die Notwendigkeit des ›echten‹ Objektes berührt. Wenn
Authentizität nicht etwa eine Eigenschaft von Objekten sondern vielmehr eine Kate-
gorie der Verständigung über Objekte ist, könnte dann nicht eine Kopie ebenso au-
thentisch sein wie ein Original? Tatsächlich haben in der Museumsgeschichte immer
wieder in der einen oder anderen Form Reproduktionen ihren Platz in Ausstellungs-
zusammenhängen gefunden, ohne dass damit eine Täuschung des Publikums oder
eine Unterwanderung musealer Verhaltensrichtlinien intendiert oder auch nur ver-
bunden gewesen wäre. Krzysztof Pomian sieht den frühesten Ursprung menschlicher
Sammeltätigkeit tatsächlich in einer Abkehr von Originalgegenständen und führt als
Beleg die Begräbnisriten altertümlicher Kulturen an: Von Europa bis nach China
ließe sich fast überall eine Tendenz beobachten, Grabbeigaben in Form vom Ge-
brauchsobjekten nach und nach durch Modelle und Nachbildungen zu ersetzen. Als
Beispiele nennt Pomian Beigaben von Tonfiguren anstelle einer Opferung von Skla-
ven und Tieren, die ihrem verstorbenen Herrn im Jenseits dienen sollten, oder die
Fertigung rein ornamentaler Nachbildungen von Waffen und Werkzeugen, die häufig
sehr viel wertvoller als die tatsächlich brauchbaren Originalobjekte und von vornhe-
rein offenbar nur als Sinnträger gedacht waren – eine Denkfigur, welche das (muse-
ale) Sammeln im neuzeitlichen Sinne erst ermöglicht habe (vgl. Pomian 2007: 22).
Auch die humboldtschen Kunstmuseen des 19. Jahrhunderts, welche durch und
durch als Kultstätten des authentischen Originals konzipiert waren, erlaubten durch-
aus das Ausstellen von Reproduktionen. Zwar standen die von der Museumsarchi-
tektur zu Kultgegenständen aufgewerteten Kunstwerke im Mittelpunkt dieser vorran-
gig ästhetischen Museumskonzeption, aber in weniger exponierten Winkeln der Ge-
bäude waren durchaus auch ethnographische und historische Sektionen vorgesehen.
Da den hier ausgestellten Exponaten nicht dieselbe inspiratorische und erzieherische
Qualität beigemessen wurde wie den Kunstobjekten, wurde von ihnen auch keine
Originalität verlangt – es genügten Nachbildungen, z.B. in Form von Abgüssen (vgl.
Korff 2002a: 115).
Auch in der Gegenwart ist die Verwendung von Reproduktionen im Museum
nicht unüblich. Sie vertreten z.B. Objekte, die im Ausstellungskontext wichtig, aber
aus irgendwelchen Gründen nicht verfügbar sind – womöglich können sie nicht ge-
fahrlos (oder gar nicht) transportiert werden, ihre Besitzerinstitution verleiht sie
nicht, oder sie existieren schlicht nur noch in Form von Abbildungen (man denke hier
an die enormen Zerstörungen von Kulturgütern in den Weltkriegen). Vielleicht be-
findet sich das Original auch durchaus im Besitz des Museums, aber es kann aufgrund
seiner Empfindlichkeit oder eines schon fortgeschrittenen Verfalls nicht dem Publi-
kum präsentiert werden, ohne seine Zerstörung zu riskieren. Die moderne Museums-
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien