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Das Museum: Ein Umriss | 77
gerade das Zusammenwirken seiner Funktionsebenen akzentuiert. Die vorliegende
Studie wird zu diesem Zweck auf den in seiner heutigen Konnotation von Michel
Foucault geprägten Begriff des Dispositivs zurückgreifen.
Das Dispositiv nach Foucault steht in enger Verbindung mit dem Konzept des
Diskurses und verweist wie dieses nicht auf ein bestimmtes Repertoire methodischer
Zugänge, sondern vor allem auf eine bestimmte Art, über soziokulturelle Phänomen-
bereiche bzw. die Schaffung dessen nachzudenken, was sich als ›soziale Tatsachen‹
oder umfassender noch ›soziale Wirklichkeit‹ bezeichnen ließe. Und ebenfalls dem
Diskurs ähnlich ist das Dispositiv eine sehr forschungspraktisch orientierte Begriff-
lichkeit, die Foucault aus gegenstandsbezogenen Arbeiten heraus entwickelt, anstatt
sie ihnen programmatisch voranzustellen.
Die wohl meistzitierte Ausformulierung seiner Dispositiv-Vorstellung lieferte
Foucault dementsprechend auch nicht in seinen Büchern, sondern 1977 in einem Ge-
spräch über seine damals noch in der Entstehung begriffene dreibändige Histoire de
la sexualité (im Deutschen erschienen als Sexualität und Wahrheit) mit dem Litera-
turhistoriker Alain Grosrichard. Das Dispositiv, so erklärt Foucault hier, sei vor allem
dreierlei: Erstens sei es ein »entschieden heterogenes Ensemble« (Foucault 1978:
119), zu welchem »Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglemen-
tierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche
Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesag-
tes ebenso wie Ungesagtes« (ebd.: 119f.) gehören. Zweitens aber erschöpfe sich das
Dispositiv nicht in der bloßen Zusammenstellung dieser Einzelelemente. Der Begriff
unterstreiche vielmehr die Beziehungen und Verbindungen zwischen ihnen – tatsäch-
lich setzten Dispositive sich erst eigentlich aus diesen zusammen. Nicht statische und
klar lokalisierbare Konstellationen von Einflüssen seien ihr Wesen, sondern beweg-
liche Allianzgefüge, deren »Positionswechsel und Funktionsveränderungen« (ebd.:
120) es zu erfassen heißt. Drittens und letztens sieht Foucault in Dispositiven zutiefst
historische Erscheinungen. Sie seien »Formationen«, die in bestimmten geschichtli-
chen Situationen als Antworten auf »Notstände« (urgences) (ebd.) in Erscheinung
treten: »Das Dispositiv hat eine vorwiegend strategische Funktion« (ebd.). Als sinn-
fälliges Beispiel hierfür nennt Foucault die Geburt der Psychiatrie und die ihr zugrun-
deliegenden, historisch wechselhaften Konzepte von Wahnsinn, Geisteskrankheit
und schließlich Neurose. Die Psychiatrie sei, so seine These, als Dispositiv aus einem
»strategischen Imperativ« (ebd.) hervorgegangen – nämlich jenem der »Resorption
einer freigesetzten Volksmasse [...], die einer Gesellschaft mit einer Ökonomie we-
sentlich merkantilistischen Typs lästig erscheinen mußte« (ebd.).
Es fällt nicht schwer, das in diesem Sinne ›Dispositivhafte‹ des Museums aufzu-
zeigen. Museen sind heterogene Gefüge aus Objekten, Architekturen, didaktischen
Leitlinien und Vorstellungen, ästhetischen Prinzipien und Programmen, institutionel-
ler Ein- und Anbindung, usw. Zugleich sind sie stets das Produkt von Wechselwir-
kungen zwischen diesen Elementen, das in der Weite seiner Effekte deren bloße
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien