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hervorbringt (vgl. ebd.: 80): Softwareentwicklung mag die Musterdisziplin des Vir-
tuellen sein, aber virtuell ist auch das Gebäude, das architektonisch bereits geplant
ist und nur noch im Bau aktualisiert werden müsste, oder das Gesetz, dass erst in
seiner Einhaltung durch den sich selbst disziplinierenden Bürger oder seiner polizei-
lichen Durchsetzung aktuell wird.
2.1.3 Digitale Virtualität und kulturelle Kommunikation
Steve Woolgar betont vor allem die enge Verworbenheit unseres vornehmlich an di-
gitale Datenverarbeitung geknüpften Virtualitätsbegriffs mit der in den 1980er Jahren
aufgeblühten Utopie vom Cyberspace, die nach Woolgar in erster Linie eine Utopie
der Kommunikation ist: Das Wesen des Cyberspace liegt für ihn nicht in einer simu-
lacrischen Erzeugung ›künstlicher‹ Welten, die in Konkurrenz zur ›wirklichen‹ tre-
ten, sondern in seiner Fähigkeit, die Beziehung der kulturellen Welt zu den Räumen,
in denen sie sich entfaltet, zu verändern ‒ ohne dabei aber selbst im physikalischen
Sinne ›räumlich‹ zu sein. Der Cyberspace ist eine Metapher für von digitalen Medi-
entechnologien getragene Kommunikationsstrukturen, welche die Verhältnisse des
›realen‹ Raumes überschreiben können (vgl. Woolgar 2002: 2).2 Woolgars Virtuali-
tätsvorstellung knüpft an dieses Konzept an und versteht Virtualität immer im Zu-
sammenhang mit der Erwartung eines »death of distance« (ebd.: 19), welche sie zu-
gleich relativiert.
Woolgar formuliert keine Definition oder Begriffsgeschichte der Virtualität.
Vielmehr nimmt er unter die Lupe, welche Phänomene in öffentlichen Diskursen un-
ter dieser Bezeichnung verhandelt werden und formuliert von diesen ausgehend seine
Five Rules of Virtuality. Bei diesen ›Regeln‹ handelt es sich nicht um einen in Stein
gemeißelten Kriterienkatalog für das, was als virtuell gelten darf, sondern um »Dau-
menregeln« und »Slogans« (ebd.: 14), die in erster Linie Landmarken für die Be-
schreibung von Virtualisierungserscheinungen darstellen sollen. Sie umreißen damit
ein Feld, dass es nach Woolgar zum Zeitpunkt der Textentstehung erst noch zu er-
schließen galt: jenes der Auswirkungen von digitalen Medien auf die Grenzen und
Beschaffenheiten der Lebensrealitäten ihrer Anwender (vgl. ebd.: 13f.).
Woolgars erste Regel besagt, dass neue Medientechnologien sich nicht etwa ei-
gendynamisch und unaufhaltsam ausbreiten und dabei alle gesellschaftlichen Wider-
stände hinwegspülen, sondern dass Akzeptanz und Nutzungsgewohnheiten stark so-
zial situiert sind. Die Integration des digitalen Virtuellen in die Lebenspraxis kann
auf sehr verschiedene Arten erfolgen und in unterschiedlichen sozialen Kontexten
variierende Formen von Kompromissen und Zugeständnissen erforderlich machen.
Die erste Regel besagt damit auch, dass die Vorstellungen, die Entwickler einer- und
2 Das Kapitel 3.3.3 dieser Studie wird sich der Geschichte und den Implikationen der Cy-
berspace-Metapher noch eingehender widmen.
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien