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Netz und Virtualität | 89
Endnutzer andererseits an neue Technologien herantragen, sehr weit auseinanderge-
hen können (vgl. ebd.: 14f.).
Die zweite Regel erweitert die erste um die Feststellung, dass vor allem die
Ängste und Gefahren, die mit Virtualisierung verbunden sind, ungleichmäßig über
die Gesellschaft verteilt sind. Unterschiedliche soziale Gruppen und Institutionen
fühlen sich von aufkommenden Technologien unterschiedlich stark bedroht (vgl.
ebd.: 15f.) ‒ man denke z.B. an Senioren, die fürchten, den Anschluss an ihre Umwelt
zu verlieren, oder eben auch an Museen, denen der Virtualisierungsprozess aus ge-
nannten Gründen sehr viel schwerer von der Hand zu gehen scheint als Bibliotheken.
Die dritte Regel verbindet Woolgars sehr praktisches Virtualitätsverständnis mit
der Virtualität als ontologischer Kategorie: Sie besagt, das virtuelle Technologien
›reale‹ Tätigkeiten nicht etwa verdrängen, sondern funktional ergänzen bzw. die Mo-
dalitäten ihrer Durchführung verändern. Bürocomputer haben z.B. laut Woolgar nicht
etwa das Papier überflüssig gemacht, sondern in Büros neue Kommunikationswege
geschaffen, die sowohl von digitaler Datenübertragung, als aber auch von physischen
Ausdrucken digitaler Information Gebrauch machen (vgl. ebd.: 16f.) Regel vier ver-
dichtet diese Beobachtung auf die Formel »the more virtual, the more real« (ebd.:
17): Die Verfügbarkeit virtueller Angebote mache die entsprechenden physischen
Tätigkeiten nicht etwa unattraktiv, sondern könne sogar zu ihrer Ausübung anregen.
Bezeichnenderweise wählt Woolgar hier ausgerechnet das Beispiel, dass ein ›Be-
such‹ in einem Online-Museum den in einem ›Offline‹-Museum nicht notwendiger-
weise ablösen müsse, sondern letzteren gerade auch erst attraktiv machen könne.
Etablierte Einrichtungen wie Geschäfte und Kulturinstitutionen können von der Exis-
tenz virtueller Entsprechungen demnach durchaus auch belebt werden (vgl. ebd.:
18f.).
Die fünfte Regel wird von Woolgar mit der Maxime »the more global, the more
local« (ebd.: 19) zusammengefasst: Obwohl Virtualisierung immer zu einem gewis-
sen Grad im Zeichen des ›death of distance‹ stehe und ihre Trägertechnologien von
der Entwicklerseite her zumeist global gedacht würden, hänge die Art, wie sich die
Nutzer schließlich zur Globalität verhielten, stark von lokalen Voraussetzungen ab.
Die Relevanzkriterien, aufgrund derer auf global verfügbare Informationen zugegrif-
fen wird, seien ‒ und damit mündet die letzte Regel der Virtualität zurück in die erste
‒ eben in bestimmten gesellschaftlichen Gefügen positioniert, die sich von physika-
lischen Raumverhältnissen noch lange nicht unabhängig gemacht hätten (ebd.: 19ff.).
Zusammenfassend stellt Woolgar fest, dass ›Virtualisierung‹ als Prozess »coun-
ter-intuitive« (vgl. ebd.: 21) sei: Sie geschehe auf eine Art, die nicht immer unseren
Erwartungen entspräche und nicht etwa von der vermeintlich folgerichtigen Logik
der Technik vorgeschrieben sei, sondern in ihrem Vollzug laufend sozial neu ver-
und ausgehandelt werde. Hiermit gesellt sich zur ontologischen und technischen Be-
deutung des Virtualitätsbegriffs also eine soziale: Virtualität ist auch der Lebensmo-
dus von Gesellschaften, die in zunehmendem Umfang Gebrauch von ›virtuellen‹
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien