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Technologien machen. Es sei in diesem Zusammenhang noch einmal an Lev Mano-
vichs bereits erwähnte Beobachtung erinnert, dass sich der Computer ab den 1980er
Jahren von einer Maschine mit begrenzten Anwendungsfeldern zu einem »filter for
all culture« entwickelt habe (Manovich 2002: 64): Genau diese Entwicklung ist es,
die in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit das bildet, was Woolgar unter ›Virtualisierung‹
versteht. Mit einer solchen Einführung von Computern in kulturelle Kommunikati-
onsstrukturen entsteht wiederum nach Joseph Weizenbaum eine Konfliktsituation
zwischen dem formalen System der technischen Anordnung und der Lebenswelt der
Menschen:
Nun zum Computer: Ich würde sagen, er kann nicht verstehen, weil er mit der Welt keine se-
mantische Verbindung aufnimmt. Im Computer ist alles abstrakt, die Bits oder die Elektronen
rasen herum und was sie bedeuten, kann der Computer nicht wissen, er kümmert sich nicht
darum. Das ist sogar schon zuviel gesagt, er kann sich nämlich gar nicht »kümmern«. (Wei-
zenbaum 2006: 135)
Hiermit ist wiederum angedeutet, dass Woolgars Virtualisierungsbegriff einer Erwei-
terung bedarf: Mit dem Eindringen von Computern in Abläufe der Aushandlung kul-
tureller Kategorien und Inhalte geht die Notwendigkeit einher, diese Inhalte in For-
malismen zu übersetzen, die der Computer wenn schon nicht verstehen, so doch zu-
mindest prozessieren kann. Virtualisierung muss also auch als das Gegenteil der Ak-
tualisierung verstanden werden, als die Verwandlung von etwas Konkretem in ein
Abstraktes, von etwas Vorhandenem und Ausgeformten in ein Potenzielles, von Er-
scheinungen und Gegenständen der Kultur in die Mathematik des Codes.
Genau auf dieser Grenze zwischen kultureller Welt und selbstbezüglicher Kalku-
lation verortet auch Lev Manovich den Computer: Während er auf der Repräsentati-
ons- bzw. Interface-Ebene kulturelle Objekte entstehen lässt, die in kulturellen Kate-
gorien verstanden und gedeutet werden können, ist der zugrundeliegende Code nur
von Maschinen zu verwerten: Jede Datei besteht aus einem sog. Header, welcher ihre
Art und Beschaffenheit kennzeichnet (und damit dem System zu erkennen gibt, wie
genau mit ihr zu verfahren ist), und einer Folge von Ziffern, die ihren eigentlichen
Inhalt darstellt (vgl. Manovich 2002: 45f.). Erst mit den Vor-Schriften entsprechen-
der Software versehen kann ein Computer diese Ziffern ordnungsgemäß auslesen und
in ein kulturell rezipierbares Objekt zurückverwandeln. Manovich sieht dabei den
»culture layer« und den »computer layer« als völlig verschiedene »Kosmogonien«
(ebd.: 46). Den Prozess, in welchem Inhalte zwischen diesen zwei Ebenen (und damit
zwischen Virtualität und Aktualität) hin- und hergeschoben werden, bezeichnet Ma-
novich als Transcoding (ebd.: 45).
Ein prägnantes Beispiel für Transcodierung liefert Friedrich Kittler (wohlgemerkt
ohne selbst diesen Begriff zu verwenden) am auch für die Museumsvirtualisierung
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien