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Netz und Virtualität | 91
hochbrisanten Gegenstand der Computergrafik. Als Computergrafik ist hier im Ge-
gensatz zum alltagssprachlichen Gebrauch nicht etwa das zu verstehen, was tatsäch-
lich auf einem Bildschirm erscheint ‒ dies sind Kittlers Diktion nach Computerbilder
‒, sondern das System von Softwareprogrammen, das für dessen Erzeugung verant-
wortlich ist (vgl. Kittler 2002: 178). Das Computerbild ist nach Kittler rein formal
immer »eine zweidimensionale additive Mischung aus drei Grundfarben, die sich im
Rahmen oder Parergon eines Monitorgehäuses zeigt« (ebd.). Während Manovich in
dieser Einkreisung des Computerbildes durch den Rand des Bildschirms ein Ver-
mächtnis des Kinodispositivs erkennt ‒ eine diskrete simulierte Realität wird im Ka-
der der Leinwand eingekapselt und vorgeführt (vgl. Manovich 2002: 80) ‒ sieht Kitt-
ler den Vorgänger des Computermonitors vielmehr im Radarschirm: Anders als die
analoge Projektion auf der Kinoleinwand oder auch das halbdigitale, aus Zeilen auf-
gebaute Fernsehbild bestehen Computerbilder aus einzelnen Punkten auf einem
zweidimensionalen Raster, deren Positionen sich in cartesischen Koordinaten be-
schreiben und dementsprechend individuell adressieren lassen (vgl. Kittler 2002:
178f.). In dieser Adressierbarkeit ihrer Einzelelemente verkörpern Computerbilder
laut Kittler »die Fälschbarkeit schlechthin« (ebd.: 179): Sie bestehen, soweit es den
Computer betrifft, aus nichts weiterem als einer Auflistung von zweidimensionalen
Koordinaten, denen jeweils ein Farbwert in Form einer Mischung aus den drei Grund-
farben Rot, Grün und Blau (und damit einer dreidimensionalen Koordinate) zugeord-
net ist. Jeder dieser Werte kann über eine einfache Manipulation der Zahlen verändert
werden ‒ Computergrafik, so Kittler, macht uns glauben, dass die von ihr auf den
Schirm gebrachten Bilder kontinuierliche und abgeschlossene Objekte seien, wäh-
rend es sich bei ihnen in Wahrheit um einen aus diskreten und somit manipulierbaren
Elementen zusammengesetzten Text handelt (vgl. ebd.). Dieser wird erst dann zum
Bild, wenn eine mit entsprechenden programmatischen Vorgaben ausgestattete Soft-
ware ihn ausliest und aktualisiert, indem sie nach seiner Anleitung tatsächlich Farben
auf Pixel verteilt. Das von Lawrence Lessig beschriebene Zwitterdasein des Codes
als Synthese von Substanz und Gesetz zeigt sich hier überaus schlüssig: Für den
Computer, dessen Domäne (oder mit Manovich: dessen Kosmogonie) die zwingende
Logik der Zahlen ist, sind Regeln Substanz. Alles, was wir am Computer als substan-
tiell wahrnehmen und damit also als ein kulturelles ›Etwas‹ reflektieren können ‒ sei
es nun das grafische Desktop-Interface eines Betriebssystems, die simulierte Umwelt
eines Computerspiels oder ein digitales Abbild der Mona Lisa ‒ ist das Ergebnis der
Umsetzung bzw. Aktualisierung von Vor-Schriften, in denen das ›Etwas‹ nur virtuell
vorhanden ist. Manovich stellt aufgrund eben dieser Beobachtung fest, dass die auf
einem Bildschirm erscheinenden Gegenstände keine ›Dinge‹ im ontischen Sinne
seien ‒ sie besitzen nämlich keine singuläre Identität. Sie sind eher Signal als Objekt
und dementsprechend nicht autonom. Zwei identische Instanzen desselben Signals
sind funktional ununterscheidbar und dementsprechend auch nicht als diskrete Enti-
täten zu betrachten (Manovich 2002: 132ff.), auch wenn wir sie auf der Ebene des
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien