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Netz und Virtualität | 99
noch von der Motivation künstlerischen Ausdrucks angetrieben. Vielmehr war es das
Verlangen der Naturwissenschaften nach effizienteren Methoden zur Verwaltung ih-
res explosionsartig anwachsenden Kenntnisstandes, das den Anstoß zur Entwicklung
hypertextueller Abrufsysteme lieferte. So erschien im Jahre 1945 im Atlantic Maga-
zine ein Aufsatz mit dem Titel As We May Think aus der Feder des Leiters des ame-
rikanischen Office of Scientific Research and Development, Vannevar Bush. Bush
hatte als Chef jener Behörde, aus welcher wenige Jahre später die RAND-Corporation
hervorgehen sollte, im zweiten Weltkrieg vor der Aufgabe gestanden, die For-
schungstätigkeit hunderter über die gesamten USA verstreuter Forscherteams und
Laboratorien koordinieren und dabei gleichzeitig für einen optimalen Austausch ihrer
Forschungsergebnisse sorgen zu müssen (vgl. Krameritsch 2007: 114). Dies veran-
lasste ihn nach Kriegsende dazu, die üblichen Kanäle zur Verbreitung wissenschaft-
licher Erkenntnisse über gedruckte Monographien und Zeitschriften für ebenso über-
kommen zu halten wie deren etablierte Verwaltung durch Kataloge und andere Ord-
nungssysteme, die über Kategorisierung und Systematisierung des Materials funkti-
onierten. Angesichts eines immer schneller anwachsenden Wissenskorpus seien
diese schlicht nicht intuitiv genug handhabbar und folgten zugleich einer Logik, die
nicht jene des menschlichen Gehirns sei:
The human mind does not work that way. It operates by association. With one item in its grasp,
it snaps instantly to the next that is suggested by the association of thoughts, in accordance with
some intricate web of trails carried by the cells of the brain. It has other characteristics, of
course; trails that are not frequently followed are prone to fade, items are not fully permanent,
memory is transitory. Yet the speed of action, the intricacy of trails, the detail of mental pic-
tures, is awe-inspiring beyond all else in nature. (Bush 1945)
Was Bush den alten Werkzeugen der Speicherung und des Abrufs von Forschungs-
daten nun entgegensetzt ist eine niemals tatsächlich gebaute, für die Diskursge-
schichte der modernen Informations- und Computerwissenschaft als Idee jedoch emi-
nent wichtige Maschine namens ›Memex‹.
Ein Memex ‒ seinerseits eine Wortschöpfung aus memory und index ‒ sollte nach
Bushs Vorstellung eine analoge Apparatur sein, mittels derer ihr Nutzer all sein
schriftlich bezieh- und niederlegbares Wissen speichert und abruft. In seiner Funkti-
onsweise und Abruflogik wiederum sollte dieses Gerät möglichst genau dem Modell
des menschlichen Gedächtnisses als Netzwerks von Informationspartikeln entspre-
chen: »It is an enlarged intimate supplement to his memory.« (Ebd.) Als eine ›intim‹
mit dem Geistesleben ihres Nutzers verwobene technische Vorrichtung sollte Memex
sich auch in sein Wohnumfeld möglichst nahtlos einfügen und die Gestalt eines her-
kömmlichen Möbelstücks annehmen: In seiner äußeren Erscheinung hätte es idealer-
weise einem Schreibtisch geglichen, in dessen Oberfläche angewinkelte Projektions-
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien