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›Virtuelle Museen‹: Medienwechsel und Kontinuität | 131
Musterkopie darstellt), oder über eine aus den Daten selbst ausgelagerte Herkunfts-
dokumentation (vgl. Lynch 2000: online).
Die Frage nach digital-virtuellen ›Dingen‹ ist wiederum mindestens ebenso prob-
lematisch wie die nach digitaler Authentizität und Originalität. Im physischen Mu-
seum sind die Ausstellungsgegenstände ja immer zwingend aktuell: Während der
Raum zwischen ihnen das Entfaltungsmedium des Virtuellen darstellt, in dem der
Besucher die Ausstellung wahrnimmt, navigiert und potenzielle Deutungen aktuali-
siert, stellen die Dinge in ihrer Materialität die Leuchttürme und Landmarken des
unzweifelhaft ›Wirklichen‹ dar. Ihr Sinn ist verhandelbar, aber nicht ihr physisches
Vorhandensein. Ein Museumsding kann unzählige mögliche Bedeutungen in sich
vereinen, aber sein Platz im Raum ist unteilbar und kann nicht zur gleichen Zeit von
einem anderen Objekt belegt werden. Es schafft also durch seine Präsenz im Raum
Sinnpotentiale, während es zugleich die Anwesenheit anderer Nouophoren am selben
Ort ausschließt. Digital simulierte Dinge hingegen können durchaus denselben ›Ort‹
belegen, weil ihr ›Raum‹ ein rein semantischer ist. Nach Alan Wexelblat befinden
sich zwei semantisch identische virtuelle Objekte auch an derselben Position des
Sinngefüges. Wer zwei gleiche Dateien als distinkte Entitäten betrachten möchte, der
wird nicht umhinkommen, sie künstlich verschieden zu machen, indem er z.B. eine
von ihnen mit einem global identifier versieht (vgl. Wexelblat 1991: 262f.)
3.2.2 Stetigkeit vs. Prozeduralität
Erschwert wird diese Problematik abermals dadurch, dass es in digital-virtuellen Um-
gebungen keine persistenten Dinge gibt, wie wir sie aus der physikalischen Welt ken-
nen:
There are no objects in cyberspace, only collections of attributes given names by travellers, and
thus assembled for temporary use, only to be automatically dismantled again when their use-
fulness is over, unless they are used again within a short time-span. Thus useful or valued ob-
jects remain, while others simply decay. These collections of attributes are assembled around
nameless nodes in information spaces. (Novak 1991: 235)
Die Objekte, welche in und von digitalen Medien dargestellt werden, sind also ihrer
technologischen Unterlage entsprechend keine abgeschlossenen Produkte, sondern
dynamische Prozesse, die erst in ihrer Rezeption aus ›Attributen‹ zusammengesetzt
werden. Insofern erleben wir hier gewissermaßen eine Umkehr des Experimentalsys-
tems nach Rheinberger: Während dort ein gegebenes Objekt nach und nach seine
Eigenschaften preisgibt, sind hier die Eigenschaften das Gegebene, und in der Be-
trachtung setzt der Nutzer sie zu etwas zusammen, das als ein singuläres funktionales
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien