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›Virtuelle Museen‹: Medienwechsel und Kontinuität | 139
Schlussfolgerungen herbeizuführen: Weil sie letztlich nur Einzelbeobachtungen hin-
tereinander reihe, könne sie niemals den abschließenden Beweis für eine Regelhaf-
tigkeit liefern (vgl. Hume 2011a: 86f.). Trotzdem ist natürlich ein großer Teil unserer
Annahmen über die uns umgebende Welt das Ergebnis von induktiven Schlüssen in
Form von Folgerungen aus wiederholten Beobachtungen. Hui verweist hier insbe-
sondere auf Humes Ausführungen zum Billardspiel aus dem Enquiry Concerning
Human Understanding von 1748, in denen dieser als tragendes Element induktiver
Erkenntnis die Beobachtung von Relationen bzw. Zusammenhängen zwischen Ob-
jekten und Ereignissen ausmacht. Ein Mensch, der das erste Mal und ohne Vorkennt-
nis zwei Billardkugeln zusammenstoßen sieht, wird nach Hume nicht imstande sein,
die Bewegung der angestoßenen Kugel auf jene der stoßenden zurückzuführen. Be-
obachtet er denselben Vorgang jedoch ein weiteres Mal und dann noch einige Male,
so wird sich in seiner Vorstellung zunehmend die Annahme ausbilden, dass es eine
Beziehung zwischen den beiden Kugeln gibt, und dass diese Beziehung der Grund
für ihre jeweiligen Bewegungen ist. Die Beobachtung aber hat Hume zufolge noch
keinen Kausalitätsbeweis erbracht − sie hat lediglich in der Imagination des Beobach-
ters eine Relation entstehen lassen (vgl. Hume 1748/2011: 595f.; vgl. Hui 2013:
106f.). Einen ganz ähnlichen Mechanismus wähnt Hui bei der Entstehung digitaler
Objekte am Werk: Die Relationen, aus denen sie hervorgehen, müssen zunächst ein-
mal imaginiert werden.
In redaktionell entstehenden Hypertextanordnungen wie der Wikipedia ist dieser
Prozess nicht schwer nachzuvollziehen: Die Links zwischen einzelnen Artikeln wer-
den von menschlichen Redakteuren gesetzt und auch von Menschen in Anspruch ge-
nommen, die gemeinsame Vorstellung von Autoren und Rezipienten verknüpft also
Daten zu Wissensgegenständen. Computer haben indes keine Phantasie, mit der sie
digitale Objekte zusammenführen könnten. Sie verfügen jedoch bereits über Agen-
tensysteme, die zwar noch nicht die volle Funktionalität derer des von Berner-Lee
antizipierten Semantic Web aufweisen, aber durchaus bereits in der Lage sind, Be-
ziehungen zwischen ansonsten unverbundenen Daten herzustellen. Wenn z.B. eine
Webseite wie Youtube dem Nutzer auf Basis seiner bisher angeschauten Videos eine
Reihe anderer empfiehlt, die ihn auch interessieren könnten, sieht Hui in der dahin-
terstehenden Software eine Form von Einbildungs-Ersatz, der es dem System ermög-
licht, induktive Mutmaßungen anzustellen − auch wenn hier lediglich die Zugriffs-
muster von Anwendern mathematisch ausgewertet werden. An die Stelle des wieder-
holten Kugelstoßes tritt der wiederholte Klick von Nutzern auf ähnliche Angebote
(vgl. Hui 2013: 107).
Die Deduktion führt Hui in die Diskussion ein, weil mit der Induktion allein zwar
die Entstehung von Zusammenhängen in Datenansammlungen erklärbar wird, nicht
aber, warum diese Zusammenhangsgefüge als diskrete ›Objekte‹ in Erscheinung tre-
ten. Hui greift hier auf Immanuel Kants Konzept des ›Schemas‹ zurück, das bei Kant
Dinge – Nutzer – Netze
Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Titel
- Dinge – Nutzer – Netze
- Untertitel
- Von der Virtualisierung des Musealen zur Musealisierung des Virtuellen
- Autor
- Dennis Niewerth
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-4232-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 428
- Schlagwörter
- Virtualität, Kulturerbe, Digitalisierung, Neue Medien, Kulturmanagement, Museumswissenschaft, Digitale Medien, Mediengeschichte
- Kategorie
- Medien