Seite - 13 - in Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
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EINLEITUNG
Lange Zeit galt es als Charakteristikum der österreichischen Nachkriegsliteratur,
dass sie sich weder mit der unmittelbaren Vergangenheit, also Austrofaschismus
und Nationalsozialismus, noch mit ihrer konkreten Gegenwart auseinanderge-
setzt habe. Für die Jahre zwischen 1945 und 1966 sei gerade das Fehlen zeitge-
schichtlicher bzw. politischer Themen kennzeichnend. Stattdessen wurde diesem
Abschnitt der Literaturgeschichte immer wieder eine auffällige Polarisierung
zwischen einer formal traditionellen, inhaltlich rückwärtsgewandten Strömung
einerseits, und einer modernen, sprachexperimentellen Strömung andererseits
zugeschrieben. Den konservativen Autorinnen und Autoren, die den Literatur-
betrieb dominierten, wie etwa Gertrud Fussenegger, Rudolf Henz, Alexander
Lernet-Holenia oder Karl-Heinrich Waggerl, werden dabei bis heute die „Wiener
Gruppe“ und ihr Umfeld entgegengestellt.1 Mit diesem Beschreibungsmodell
rückten nun gerade die beiden Strömungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit,
die einer literarischen Auseinandersetzung mit den aktuellen politischen Fragen
aus dem Weg gingen, allerdings aus ganz unterschiedlichen Motiven.
Während die Avantgarde, lange Zeit nur von einer kleinen Elite zur Kenntnis
genommen, sich vor allem mit sprachimmanenten Verfahrensweisen, mit for-
malen Innovationen, mit Sprachexperiment und -reflexion beschäftigte, ohne
den „Anspruch auf eine nachvollziehbare Gedankenführung“2 oder plausible
Sinnkonstruktionen, verweigerten sich diejenigen Autorinnen und Autoren, die
sich in den Jahren von 1933 bis 1945 mit den Machthabern arrangiert hatten,
diese aktiv unterstützten oder sich in der „inneren Emigration“ scheinbar von
1 Vgl. etwa Paul Kruntorad: Charakteristika der Literaturentwicklung in Österreich 1945–1967.
In: Rolf Grimminger (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahr-
hundert bis zur Gegenwart. Bd. 10: Literatur in der Bundesrepublik Deutschland bis 1967.
München: dtv 1986, S. 629–650 oder auch in Ansätzen noch bei Klaus Zeyringer, Helmut
Gollner: Eine Literaturgeschichte: Österreich seit 1650. Innsbruck: Studien Verlag 2012, S.
618–
619.
2 Vgl. Wendelin Schmidt-Dengler: Bruchlinien. Vorlesungen zur österreichischen Literatur 1945
bis 1990. 3.,
korr. Aufl. Hg. v. Johann Sonnleitner. Salzburg [u.a.]: Residenz Verlag 2010, S.
138.
Die Werke der „Wiener Gruppe“ kann man freilich auch gerade deshalb als Gegenfiguren zu
den bipolaren Zuschreibungen des Kalten Krieges begreifen. Vgl. Klaus Kastberger: Acte und
Akten. Konrad Bayer und die Archive der Avantgarde. In: Ders., Thomas Eder (Hg.): Konrad
Bayer: Texte, Bilder, Sounds. Wien: Zsolnay 2015, S. 15–33, hier S. 17. Vgl. dazu auch die mit
Blick auf die postmoderne amerikanische Literatur entwickelten Thesen von Marcel Cornis-Po-
pe, der gerade in der Abkehr von mimetisch-realistischen Schreibweisen und der Konzentra-
tion auf formale Innovationen einen politisch motivierten Angriff auf die dominierenden bipo-
laren Diskursmuster des Kalten Krieges sieht. Marcel Cornis-Pope: Narrative Innovation and
Cultural Rewriting in the Cold War and after. New York [u.a.]: Palgrave 2001.
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918