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Metaphorisierung des Ausdrucks lässt sich auch diversen Tagebüchern und der
Reiseliteratur entnehmen, z.B. bei Ethel Snowden Through Bolshevik Russia (1920).
Nach der Jahrhundertwende taucht er in mehreren Romanen auf, etwa in Vladi-
mir Rozanovs Apocalpyse of our Time (1918). 1938 erschien im österreichischen
Bergland-Buchverlag ein Roman von Erich Claudius, der den Titel Der Eiserne
Vorhang10 trägt. In politischen Kontexten wurde die Bezeichnung spätestens seit
dem Ersten Weltkrieg verwendet, wo er auch als militärischer Begriff für „Sperr-
feuer“ gebräuchlich war. Erstmals auf die Grenzlinie zwischen Ost und West ange-
wendet hatte ihn dann der Kommunist Lev Nikulin 1930 in der Literaturnaja
Gazeta als Bild für die Bemühungen des Westens, die Dynamik der Oktoberre-
volution nicht über die Grenze kommen zu lassen. Anders als in der späteren Ver-
wendung wurde die Sperre hier also vom Westen errichtet.11 Bis zum Zweiten Welt-
krieg zeigt sich „eine Vielfalt von metaphorischen Verwendungsweisen des
Ausdrucks“12. Auch Joseph Goebbels, Propagandaminister des Dritten Reichs, hat-
te in einem, knapp vor Ende des Zweiten Weltkriegs erschienenen Artikel für die
NS-Wochenzeitung Das Reich den Begriff „Eiserner Vorhang“ verwendet.13
Von zentraler Bedeutung für den Kalten Krieg und Ausgangspunkt der Popu-
larisierung des Begriffs war dann eine am 5. März 1946 an der Universität Ful-
ton (Missouri, USA) gehaltene Rede von Winston Churchill. Er warnte vor der
sowjetischen Expansion und charakterisierte die geopolitische Lage wie folgt:
From Stettin in the Baltic to Trieste in the Adriatic, an iron curtain has descended
across the Continent. Behind that line lie all the capitals of the ancient states of
Central and Eastern Europe. Warsaw, Berlin, Prague, Vienna, Budapest, Belgrade,
Bucharest and Sofia, all these famous cities and the populations around them lie in
what I must call the Soviet sphere, and all are subject in one form or another, not
only to Soviet influence but to a very high and, in many cases, increasing measure
of control from Moscow.14
Das „politische Schlagwort“ vom „Eisernen Vorhang“, welches das „sozusagen
sichtbare Requisit des ‚kalten Kriegs‘“ gewesen war, ergriff in der Folge „von den
10 Vgl. Erich Claudius: Der Eiserne Vorhang. Salzburg, Wien, Leipzig: Das Bergland-Buch 1938.
11 Vgl. Koller: Der „Eiserne Vorhang“, S. 375.
12 Koller: Der „Eiserne Vorhang“, S. 375.
13 Vgl. Koller: Der „Eiserne Vorhang“, S. 376.
14 Winston Churchill: „The Sinews of Peace”. A Speech to Westminster College, Fulton, Missou-
ri, March 5, 1946. In: Ders.: The Sinews of Peace. Post-War Speeches. London [u.a.]: Cassell
and Company Ltd. 1948, S.
93–105, hier S.
100. Vgl. auch Anne Applebaum: Iron Curtain. The
Crushing of Eastern Europe 1944–1956. London [u.a.]: Penguin Books 2012, S.
XXI; Die Arbei-
ter-Zeitung berichtete unter dem Titel „Ein Schatten fällt auf den Sieg“ über Churchills Rede
in Fulton, vgl. Arbeiter-Zeitung, 6.3.1946, S. 2.
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Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918