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einsickern und auch „innerhalb jeden Landes – unabhängig von seinen offizi-
ellen Grenzen – zu finden“ sein. Diese imaginäre „Scheidewand“ würde inner-
halb eines Landes „die Kommunisten von den Nicht-Kommunisten ebenso rigo-
ros trennen wie zur Zeit die Elbe Deutschland in zwei Teile zerschneidet“.19 Auch
der Historiker Bernd Stöver hat von einem bereits in den 1950er-Jahren einset-
zenden „Kalten Bürgerkrieg“ innerhalb der Gesellschaften gesprochen, wobei
das Konfliktpotential jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt, aber immer prä-
sent gewesen sei. Die Fronten zogen sich im Westen „zum Teil quer durch gesell-
schaftliche Organisationen“.20
Generell fungieren Staatsgrenzen als „politische Linien, gezogen von einer
Macht, die ihre Reichweite zu allererst räumlich fixiert“21 und funktionieren als
Selektionsmaschinen, da sie regeln, welche Menschen bzw. Dinge in das Staats-
gebiet hinein- oder aus ihm heraus dürfen. In actu existiert die Grenze als eine
technische Vorrichtung und soziales Arrangement des Aus- und Einschließens,
aber auch des Öffnens. Zwar unterscheidet die grenzsetzende Macht zwischen
legalen und illegalen Grenzgängern und der Wechsel zwischen den Grenzen mag
unter Gefahr für Leib und Leben erfolgen – dennoch ist die „Kontrolle der
Demarkationslinien […] niemals total, keine Grenze vollkommen dicht“.22
Österreichs Lage direkt am Eisernen Vorhang bedingte bereits früh eine Kri-
tik an den Absperrungen, die an den Grenzen zu den kommunistischen Staaten
installiert wurden. Von der KPÖ wurden diese zunächst als Propaganda abge-
tan. So schreibt etwa die kommunistische Zeitschrift Österreichisches Tage-
buch 1946, dass „oft von einem eisernen Vorhang, der sich angeblich durch ganz
Europa erstreckt und sozusagen die westlichen Zuschauer von den östlichen
Akteuren trennt“, gesprochen werde: „Da wir in einem Lande leben, das – um
im Bilde zu bleiben – sozusagen das Proszenium dieser eingebildeten Bühne
darstellt, ist es uns nicht schwer, zu begreifen, daß die ganze Vorstellung vom
eisernen Vorhang keineswegs den Tatsachen entspricht.“23
Anders als die politisch-ideologische Grenze wurde die territoriale Grenze
aber nicht nur auf Seiten der Kommunisten als durchlässig bezeichnet und in
ihrer Wirkung heruntergespielt. Die Negierung der tatsächlichen Verhältnisse
durch Politiker „blockfreier“ Staaten, wie etwa des indischen Ministerpräsiden-
ten Jawaharlal (Pandit) Nehru, inspirierte Hans Weigel zu einer satirischen Phan-
tasie über ein Zeitalter ohne „Eisernen Vorhang“. Weigel zitiert Nehru, der ange-
19 James Burnham: Ist die Welt wirklich unteilbar? In: Der Monat 1 (1949) H. 7, S. 12–18, hier
S. 18.
20 Stöver: Der Kalte Krieg, S. 227.
21 Eva Horn, Stefan Kaufmann, Ulrich Bröckling: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Grenzverletzer. Von
Schmugglern, Spionen und anderen subversiven Gestalten. Berlin: Kadmos 2002, S.
7–22, hier S.
7.
22 Ebd., S. 8.
23 Fritz Glaubauf: Österreichs Mission? In: Tagebuch 1 (1946) H. 12, 22.6.1946 S. 1 f.
Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
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Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918