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rich Torberg in seiner Zeitschrift Forvm sehr heftig auf eine Behauptung des
mit den Kommunisten sympathisierenden Jean-Paul Sartre, der auf einer Pres-
sekonferenz empfohlen hatte, dass diejenigen, die über den Kommunismus urtei-
len, sich von den Zuständen in den Satellitenstaaten zunächst persönlich zu
überzeugen hätten und selbst hinter den „Eisernen Vorhang“ reisen sollten. Wie
Sartre erklärte, brauche man dazu nur auf das betreffende Konsulat gehen und
um ein Visum anzusuchen: „er selbst hätte das vor kurzem getan, als er in die
Tschechoslowakei fahren wollte, und das Visum wäre ihm binnen drei Stunden
erteilt worden“. Torberg hält dies für eine „so parteigefällige, so propagandaf-
romme, so atembeklemmend blöde Antwort“, das Sartre sie „unmöglich im Ernst
gemeint haben kann“.30 Für engagierte Antikommunisten wie Torberg diente der
„Eiserne Vorhang“ als das Symbol, das nicht nur ‚aus-‘, sondern auch ‚einschloss‘,
es war die „Mauer“ eines riesengroßen Gefängnisses, das entsprechend bewacht
wurde und das mit Waffengewalt versuchte, die Eigenen ‚drinnen‘ und die Frem-
den draußen zu halten. So bildet die Grenze in zahlreichen Texten einen prekä-
ren Raum, in dem Mord und Totschlag herrschen.
Die „Mordgrenze“
Dass der „Eiserne Vorhang“ unpassierbar und damit eben kein Phantasiepro-
dukt war, die von der Sowjetunion betriebene Friedenspropaganda nur unzu-
reichend die mörderischen Zustände an den Grenzen sowie in den Ländern des
realen Sozialismus kaschierte, wie Wechsberg mit dem Bild der Friedenstaube,
die den Wachturm an der Grenze verdeckt, signalisiert, ist ein zentrales Argu-
ment vieler Artikel und Reportagen der sozialdemokratischen Arbeiter-Zei-
tung, etwa in „Das ist ihr ‚Frieden‘“, in der die gewaltsame Teilung eines Gren-
zorts beschrieben wird, dessen Hauptstraße gesperrt und von Panzergräben
umgeben ist: „Hier ist er, der Stacheldraht, das Symbol des kommunistischen
‚Friedens‘; hier ist er eiserne Wirklichkeit. Er zieht sich entlang der ganzen Mord-
grenze. Hinter ihm schmachten Millionen Menschen: Niemand soll den Seg-
nungen der Volksdemokratien entrinnen! Niemand soll hineinschauen!“31
Dieses Bildfeld der „Mordgrenze“ aktualisiert die Arbeiter-Zeitung immer
wieder. Die „Vorgänge an unseren Grenzen, in unserer allernächsten Nachbar-
schaft“ würden beweisen, „daß der Eiserne Vorhang keine Erfindung, auch nicht
nur etwa eine Redensart, sondern harte Wirklichkeit aus Stacheldrahtverhauen,
Wachtürmen und viele hunderte Kilometer langen Grenzsperren“ wäre:
30 Friedrich Torberg: Sartre oder Die Ehrbare Koexistenz. Zur Wiener Affäre um die „Schmutzi-
gen Hände“. In: Forvm 1 (1954) H. 10, Oktober, S. 16–17, hier S. 17.
31 N.N.: Das ist ihr „Frieden“: Die Mordgrenze. In: Arbeiter-Zeitung, 14.12.1952, S. 3.
Die „Mordgrenze“ 29
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918