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Deutschland, während der Westen von einer „Schandmauer“ sprach. John F.
Kennedy hat in seiner berühmten Rede vom 26.
Juni 1963, in der er sich mit der
(West-)Berliner Bevölkerung solidarisierte, die Mauer als die „abscheulichste
und die stärkste Demonstration für das Versagen des kommunistischen Systems
bezeichnet“,61 und auch der Literaturtheoretiker Maurice Blanchot, der sich dem
Phänomen der inneren Teilung Deutschlands differenzierter näherte, konsta-
tiert, dass bis zum 13.
August 1961 die „Natur der Teilung“ zweifelhaft geblieben
wäre, die „fast augenblicklich durchgeführte Errichtung der Mauer“ hätte dann
jedoch die „noch unentschiedene Mehrdeutigkeit durch die Gewalt der entschie-
denen Trennung ersetzt“.62
Die Mauer prägte, wie kein anderes modernes Bauwerk eine spezifische Kon-
zeption des Raumes und wurde für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zum
Symbol des Kalten Krieges. Darüber hinaus fand sie ihren Weg in die Populär-
kultur, v. a. in Spionageromanen, als Motiv in der bildenden Kunst, aber auch
in Republikflucht-Filmen.63 So beginnt John le Carrés The Spy who came in from
the Cold (1963, dt.: Der Spion, der aus der Kälte kam) am Kontrollpunkt der Ber-
liner Mauer im amerikanischen Sektor und endet an der Mauer, nördlich der
Bernauer Straße. Zeitlich in den ersten Jahren nach dem Mauerbau angesiedelt,
vor dem Hintergrund einer erneuten Auflage der Kubakrise, die die Welt 1962
an den Rand eines Atomkrieges geführt hat, versuchen hier beide Male Agenten
im Auftrag eines westlichen Geheimdiensts die Mauer zu überwinden. Während
zu Beginn des Romans ein deutscher Agent im englischen Auftrag das Hinder-
nis – trotz einer Schusswunde – überwinden kann, um seinen Führungsoffizier
Alex Leamas zu treffen, ist es am Schluss Leamas selbst, der die Mauer erklet-
tert, um in den Westen zu fliehen. Der Versuch, seine Begleiterin über die Mau-
er hochzuziehen, scheitert aufgrund des Beschusses durch die Grenzsoldaten;
er lässt sich von der Mauer heruntergleiten und wird von den Grenzern erschos-
sen. Diese berühmte Allegorie auf die Spionage im Kalten Krieg macht die Gren-
ze „mit Kontrollposten, Stacheldraht und Schießbefehl“ zum „emblematischen
Ort […] auf dem die globalen Feinde […] unmittelbar aufeinandertreffen“.64
Ebenso wie bei le Carré bildet auch in Simmels Lieb Vaterland magst ruhig
sein die Mauer das symbolische Zentrum des Romans. Der Kleinkriminelle
Bruno Knolle, einer der zahlreichen Protagonisten, wird kurz nachdem er
61 John F. Kennedy, 26. Juni 1963. zit. n. Stiftung Deutsche Kinemathek (Hg.): Kalter Krieg. 60
Filme aus Ost und West. Berlin: Gallus 1991, S. 76.
62 Maurice Blanchot: „Berlin“. In: Ders.: Politische Schriften 1958–1993. Zürich, Berlin: Diaphe-
nes 2007, S. 79–82, hier S. 81. Der Text wurde vermutlich in den Jahren 1962 oder 1963 ver-
fasst und nimmt auch Bezug auf Mutmaßungen über Jakob und Das dritte Buch über Achim,
die beiden ersten Romane von Uwe Johnson.
63 Vgl. Kuhrmann, Liebermann, Dorgerloh (Hg.): Die Berliner Mauer in der Kunst.
64 Horn: Der geheime Krieg, S. 340. Innerdeutsche Grenze und Berliner Mauer 41
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918