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Seinen „früheren Meister“, den Fährmann Elias Loth hat Tschamper, wie Ilse
erfährt, in die Donau „purzeln lassen“ (DB 216) und dann hat er dessen Posten
übernommen. Tschamper, darauf angesprochen, antwortet Ilse mit einem Lied,
das die Grenze als einen Ort des Übergangs in das Reich des Todes charakteri-
siert: „Hinüber, hinüber – / Was harrest du hier lang? / Hinüber, hinüber – / O
sei darob nicht bang. / Es fährt ein Boot zur Ewigkeit, / Es führet dich aus Ort
und Zeit – / Hinüber, hinüber …“ (DB 216)
Die gefährliche Atmosphäre der Grenzlandschaft, die Billinger noch mit his-
torischen Konnotationen bis zu den römischen Befestigungsanlagen des Limes
auflädt, lastet über dem Geschehen der Handlung. Deutlich wird dies auch, als
ein Wiener Liebespaar die Grenzregion besucht, das im „drüben“ das Ende der
Welt bzw. das „Böse“ schlechthin vermutet: „Was drüben ist – ? Drüber der
Donau!? / Nix! Da hört die Welt auf. […] / Daher haben wir fahren müssen!
Kriegst grad bloß die Angst. […] / Spuck hinter dir aus, dreimal, sonst lauft dir
was nach, was Böses!“ (DB 246)
Aberglauben ist nur eine Strategie der Figuren in Donauballade, sich diese
prekäre Zone zu vergegenwärtigen und begreiflich zu machen. Neben diesem
Aspekt des Mythischen sind es aber auch realhistorische Elemente, die die Gren-
ze bestimmen und so wird auch das Bildfeld der „Mordgrenze“ mehrfach auf-
gerufen. Die alte Bahnwächterwitwe Zierfahl berichtet, dass ihr Sohn über die
Grenze verschleppt wurde (vgl. DB 225) und immer wieder hallen „vom drüber-
en Ufer […] grelle Schüsse“ (DB 226). An anderer Stelle erklärt Ilse die Schüsse
mit den über die Donau schwimmenden Flüchtlingen: „Unangenehm oft, diese
zu nahe Grenze. Wollte wohl wieder so ein Armer zu uns herüberschwimmen.“
(DB 236) Der gesamte Grenzraum steht unter dem Eindruck dieser mit fiktiven,
historischen und mythischen Elementen aufgeladenen Grenze. Auch die Fauna
kann sich dem nicht entziehen. So erklärt Franz Pfadenhauer, dass die Sechzeh-
nender sich „gern an den elektrisch geladenen Drähten, am eisernen Vorhang,
Ungarn zu“ aufhalten (DB 243), weil sie spüren, dass sie dort in Ruhe gelassen
werden.84
Zuletzt erhält Ilse durch den zurückgekehrten Franz Zierfahl sowie durch
ihre Cousine Ida Aufklärung über Tschampers doppelten Verrat: Dieser ist nicht
nur für die Ermordung ihrer Tante, der früheren Wirtin Rosina Descher durch
russische Soldaten in den letzten Kriegstagen verantwortlich, sondern er hat
auch das Kindermädchen Maruscha damit beauftragt, das gemeinsame Kind
Andreas mit einem Schlafmittel zu vergiften (vgl. DB 277). Dies erfährt Ilse
durch Menschen, die in der einen oder anderen Weise die Grenze überschritten
haben bzw. im Kontakt mit dem Osten stehen. In einem Brief, der auf „schein-
84 In Lieb Vaterland magst ruhig sein meldet ein Sprecher im Sender Freies Berlin in einem Bericht
über die Verminung der Grenzen, dass 1964 bereits mehr als „zweitausend Minen detoniert“
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48 1 Die Grenze
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918