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Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
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Seite - 66 - in Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur

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und Gesprächspartner frei gewählt werden durften: „Unter dem Eindruck einer jahrelangen Propaganda sind viele Menschen mißtrauisch und fragen: Haben die Oesterreicher, die in die Sowjetunion gefahren sind, auch wirklich sehen können, was sie wollten, oder hat man ihnen Potemkinsche Dörfer vorgeführt?“ Daraufhin wird Franz Größl, Chefredakteur des Kleinen Volksblatt (ÖVP), zitiert: „Es wurden uns keine Schwierigkeiten gemacht, wenn wir auf eigene Faust auf Erkundigungen auszogen.“33 Diese Aussagen sind freilich zu relati- vieren. Manès Sperber bezeichnet die Gesprächspartner, die in Ländern unter einer kommunistischen Diktatur angetroffen werden können, als „Klischee-Au- tomaten“,34 bei deren Aussagen es sich „fast stets um die gleiche Platte handelt, die den Reisenden vorgespielt und von ihnen wieder abgespielt wird“.35 In einem diskursiven Umfeld, in dem sämtliche Aussagen dem Generalver- dacht der propagandistischen Verzerrung, Verfälschung oder Lüge ausgesetzt sind, bekommt die Augenzeugenschaft eine besondere Bedeutung, da hier ver- meintlich die eigene Anschauung den unzuverlässigen Erzählungen über die eine oder die andere Seite des Kalten Krieges entgegengestellt wird. Das Dilem- ma der Augenzeugenberichte ist freilich zweifach: Erstens gibt allein die Aus- wahl dessen, was mit eigenen Augen gesehen werden durfte, eine spezifische ideologische Perspektive vor. Und zweitens sind die Augenzeugenberichte erst wieder Erzählungen von Wahrnehmungen, deren Glaubwürdigkeit von der Ver- trauenswürdigkeit und der politischen Position der erzählenden Personen bzw. des jeweiligen Mediums abhängt. Aus diesem Grund betonen die kommunisti- schen Propagandabroschüren so häufig, dass viele der zitierten Augenzeugen nicht der KP angehören. Allerdings sind für Personen, die dem Kommunismus kritisch gegenüberstehen, aus demselben Grund prinzipiell alle Augenzeugen- berichte in KP-Medien nichts als ideologische Verzerrungen, mögen die Erzäh- ler und Erzählerinnen deren Authentizität auch noch so sehr betonen.36 Da also die Wahrhaftigkeit per se in Frage stand, wurde sie umso stärker behauptet. Delegierte verschiedener gesellschaftlicher Organisationen aus diver- sen europäischen und amerikanischen Ländern mit unterschiedlichen politischen Anschauungen, Konfessionen und Berufen „erzählen im Folgenden, was sie mit eigenen Augen gesehen haben“.37 „Wir haben die sowjetische Wirklichkeit ken- 33 Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Österreichs (Hg.): Österreichische Abgeordnete und Journalisten sehen die Sowjetunion. Wien: Globus 1955, S.  2. 34 Sperber: Wallfahrt nach Utopia, S. 328. 35 Ebd., S. 323. 36 Zur Wahrheitsrhetorik der Sowjetpropaganda ab 1955 vgl. Rósa Magnúsdóttir: Mission Impos- sible? Selling Soviet Socialism to Americans, 1955–1958. In: Gienow-Hecht, Donfried (Hg.): Searching for a Cultural Diplomacy, S.  50–72, hier besonders S.  67. 37 Sowjetischer Informationsdienst (Hg.): Wir haben die Wahrheit über die Sowjetunion kennen- gelernt. Amerikaner, Engländer, Franzosen, Italiener, Kanadier, Dänen, Holländer, Schweden, Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR 66 2 Reisen ins Rote – Augenzeugen hinter dem Eisernen Vorhang
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Diskurse des Kalten Krieges Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Titel
Diskurse des Kalten Krieges
Untertitel
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2017
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20380-3
Abmessungen
15.9 x 24.0 cm
Seiten
742
Kategorien
Geschichte Nach 1918
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