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Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
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Seite - 76 - in Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur

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Das Problem der notwendigen Verfehlung der Wahrheit im Erzählen von Geschichte wird in Federmanns Roman eingehend reflektiert. Der Ich-Erzähler zeigt immer wieder die Grenzen der ‚Wahrheitstreue‘ seiner Erzählung auf, wenn er etwa auf Unsicherheiten in der Erinnerung hinweist, Schicksale von Wegge- fährten, die er aus den Augen verloren hat, nur imaginativ rekonstruieren kann, wenn er die Erwartungen seiner Geld- und Auftraggeber als Einflussfaktoren benennt oder unterschiedliche Möglichkeiten zu erzählen reflektierend neben- einanderstellt. Dieser jede absolute Wahrheit in Frage stellende Erzählmodus verhindert aber nicht die detaillierte, kritische Auseinandersetzung mit dem Stalinismus (vgl. Kapitel  4: Totalitarismus) und den darin kursierenden Lügen, die an die Stelle der politischen Utopie getreten sind. Dem Zwang zur Lüge ist auch Schindler selbst ausgesetzt, denn in Stalins Sowjetunion ist es lebensge- fährlich, der Parteilinie zu widersprechen, auch wenn diese als verlogen und falsch durchschaut worden ist. Das lernt Schindler rasch im Umgang mit seinem Mitbewohner in Moskau: Wenn er mit dem Fußball fertig war, würde er mir die neue politische Weltlage erklären, die aber eigentlich die alte war, und ich würde mich kaum zurückhalten können, ihn mit Faustschlägen zu traktieren, ich würde mich aber zurückhalten müssen, denn auch mir war nichts anderes beschieden, als mit lächelnder Miene zu lügen und mich unter die schützende Decke des großen, allgemeinen Einver- ständnisses zu ducken. (HL 273) Schindlers mehr sozialdemokratische denn kommunistische Gesinnung und seine privaten Verbindungen zu Österreich bringen ihn innerhalb des stalinis- tischen Parteiapparats in Moskau in Verruf. Er wird zu ständigen Beteuerungen seines Einverständnisses mit der offiziellen Parteilinie genötigt. Bald gibt er dort seine journalistische Tätigkeit auf und meldet sich zum Militärdienst, da er „genug davon [hatte], der Welt eine tatenfroh grinsende Miene zu zeigen, wäh- rend sich Angst und Ungeduld, Wut und Trauer immer tiefer in [ihn] einfraßen, genug davon, den spärlich beschenkten und dankbar dienernden Eiferer zu mar- kieren“. (HL 284) Trotz aller Anpassung wird Schindler aufgrund einer Denunziation verhaftet und erlebt das Leben in sowjetischen Gefängnissen mit Verhören und der Nöti- gung zur Unterzeichnung unwahrer Geständnisse. Nur durch persönliche Inter- vention der einflussreichen Familie seiner Geliebten, die ein Kind von ihm erwar- tet, wird er aus der Haft entlassen und – wiederum auf Intervention – als Redakteur in eine abgelegene Gegend versetzt, wo er zu Untätigkeit verdammt ist und zu trinken beginnt. Er bereut bald und gründlich, die Sowjetunion als Exilland gewählt zu haben, ohne deswegen zum Antikommunisten zu werden. Schindler kämpft als Rotarmist gegen Hitlerdeutschland und kommt als Ange- Open Access © 2017 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR 76 2 Reisen ins Rote – Augenzeugen hinter dem Eisernen Vorhang
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Diskurse des Kalten Krieges Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Titel
Diskurse des Kalten Krieges
Untertitel
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2017
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20380-3
Abmessungen
15.9 x 24.0 cm
Seiten
742
Kategorien
Geschichte Nach 1918
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