Seite - 82 - in Diskurse des Kalten Krieges - Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
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Stücke von ihm geben, drei sind ungespielt, [...] er gibt zu, daß er mehr gespielt
worden ist als manche Kollegen.80
Straße ohne Ende handelt von der Flucht eines Arztes namens Anton Nilpesch aus
einem Ostblockstaat in den Westen, wo ihn zunächst bürokratische Stolpersteine,
Einschränkungen bei der Ausübung seines Berufs, soziale Deklassierung, Kon-
sumterror und Geldgier erwarten. Die westliche Politik fällt durch selbstherrliche
Propaganda, aber nicht durch Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber
den Flüchtlingen aus dem Osten auf. Kühnelts Protagonist fungiert als eine Art
gesellschaftspolitischer Lakmusstreifen, auf dem sich die problematischen Kom-
ponenten der Systeme in Ost und West abzeichnen. In der Diktatur wurde er zum
passiven Dulder von Terror, der sich nicht gegen die Verschleppung von Freun-
den auflehnte, in der westlichen Gesellschaft lässt er sich durch materielle Güter
und politische Macht zu egoistischem, größenwahnsinnigem Verhalten verführen,
sodass seine Mitflüchtlinge ihm vorwerfen: „Wenn due [sic!] das Wort Freiheit
hörst, denkst du in erster Linie an dich.“ (SE 86) Kühnelt betont in diesem Stück
ähnlich wie Merz und Qualtinger in Geisterbahn der Freiheit, dass der ‚freie Wes-
ten‘ nicht per se ein Paradies für den Flüchtling aus dem Osten ist, und er formu-
liert darin einen Appell an die westliche Bevölkerung zum verantwortungsvollen
Umgang mit der persönlichen Freiheit, die nicht selbstverständlich ist.
Mit einer solchen Position gerät Kühnelt im bipolaren Diskurssystem des Kal-
ten Krieges ins Schussfeld der Kritik von beiden Seiten. Friedrich Torberg schreibt:
falsch kommt denn auch alles heraus, was Kühnelt sich an gängigen Phrasen zum
Tagesgeschehen angelesen hat. Die mangelhafte Einrichtung der Welt, sowohl im
allgemeinen wie auch im Westen wie auch im Osten, hat ihn sichtlich erschüttert,
aber nicht inspiriert. Und wenn er uns in unermüdlich abgegriffenen Varianten
wissen läßt, daß zwei mal zwei vier ist, so kann man ihm wirklich nur noch mit
Brecht antworten: Ja das ist eben schade, das ist das riesig Fade.81
Ebensowenig begeistert zeigt sich Bruno Frei im kommunistischen Tagebuch:
Wir stimmen ungern in den Chor der privilegierten Rezensenten ein, [...] [a]ber
hier stimmt gar nichts, und selbst das Richtige (Kritik an der ‚freien Welt‘) kommt
falsch heraus. [...] Da muß man die verrottete ‚freie Welt‘ in Schutz nehmen gegen
ihr Traumbild, bevölkert von Klischees.82
80 Hans Heinz Hahnl: Schwierigkeiten eines Preisträgers. Der Dramatiker Hans Friedrich Kühnelt
ist fünfzig. In: Arbeiter-Zeitung, 20.3.1968, S. 8.
81 F[riedrich]. T[orberg].: Kritische Rückschau. In: Forvm 10 (1963) H. 115–116, Juli/August, S.
366–367.
82 Bruno Frei: Wiener Premieren. In: Tagebuch 18 (1963) H. 7/8, Juli/August, S. 12.
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82 2 Reisen ins Rote – Augenzeugen hinter dem Eisernen Vorhang
Diskurse des Kalten Krieges
Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Titel
- Diskurse des Kalten Krieges
- Untertitel
- Eine andere österreichische Nachkriegsliteratur
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20380-3
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 742
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918