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ElFo—Elementarpädagogische Forschungsbeiträge (2019), 1 (1), S. 24-30
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Zwischen Homogenisierung und Pluralisierung.
Elementarpädagogik inmitten religiös und weltanschaulich ambivalenter Ansprüche
einer geforderten Homogenisierung zugunsten als einheitlich konstruierter „grundlegende[r] Werte
der österreichischen Gesellschaft“ (Parlament der Republik Österreich, 2018, S. 1) und dem Anspruch,
sich – insbesondere in kirchlichen Einrichtungen – als pluralitätsoffen und wertschätzend gegenüber
verschieden religiös und kulturell geprägten Kindern zu erweisen, greift auf PädagogInnen und ihre
Praxis zu. Es beeinflusst die Normalitätsvorstellungen, Interaktionen und alltäglichen Handlungen in
elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen – so die Ausgangsthese meiner Dissertation
(Brandstetter, 2017).
Öffentliche Diskurse und ihre Wirkungen (Forschungsfrage)
In meiner Forschung fokussiere ich daher die zunehmende Komplexität in elementaren
Bildungseinrichtungen aufgrund kultureller Diversität und religiöser Pluralität sowie deren
Diskursivierung. Es wird danach gefragt, inwiefern gesellschaftlich etablierte Redeweisen und
Ordnungen über Migration, Kultur und Religion die subjektiven Theorien und Handlungsstrategien von
ElementarpädagogInnen sowie die Interaktionen an ihrem Berufsort prägen. Nach dem cultural turn
(Stuart Hall) werden Kulturen und folglich Identitäten nicht mehr als in sich geschlossen, essentiell und
distinkt wahrgenommen, sondern in ihrer kontextuellen, historischen und prozesshaften Entwicklung
betrachtet. Diese veränderte Sichtweise hat sich im alltäglichen Sprach-Handeln weitgehend (noch)
nicht durchgesetzt, weshalb es im Bildungssystem nach wie vor zu eindeutigen ethno-kulturell-
religiösen Zuordnungen und Reduzierungen kommt. Sie sind charakterisiert durch binär angelegte
Gegenüberstellungen von ‚Kulturen‘ und ‚Religionen‘ (etwa: ‚wir ÖsterreicherInnen‘ und ‚die
Muslime‘). Dadurch werden¬ – mitunter bei bester Absicht – gesellschaftliche Macht- und
Ungleichheitsverhältnisse (re-)produziert. Meine Dissertation soll insbesondere aus der Perspektive
interkultureller Theologie einen Beitrag leisten, oftmals unbewusste hegemoniale Verhältnisse und
ihre Disziplinierungsmacht offenzulegen sowie wissenschaftlich zu analysieren. Zugleich wird danach
gefragt, wo im Kindergarten machtvolle Diskurse und hegemoniale Ordnungen irritiert, unterlaufen
oder verändert werden, sodass sich Räume einstellen, in denen Identitäten nicht (nur) zugeschrieben,
sondern ausgehandelt werden können. Solchen Zwischenräumen, die sich im Kindergarten einstellen
und von ElementarpädagogInnen begünstigt werden, gilt das vorrangige Interesse meiner Arbeit.
Ungleichheitsverhältnisse im Kindergarten (Forschungsstand)
Mit diesem Forschungsinteresse schließt meine Dissertation an die sozialwissenschaftliche
Differenzforschung an, welche den gesellschaftlichen Kontext als einen wesentlichen Indikator für die
(Re-)Produktion von Ungleichheit im Bildungssystem erkennt. So verortet etwa Gomolla (2013) die
Bedingungsfaktoren für Diskriminierung im Geflecht von institutionellen Strukturen und Praktiken, die
„nur im Kontext breiterer gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Konflikte verstanden werden“
(Gomolla, 2013, S. 57) können. Sie konstatiert, dass der Kindergarten zur Stabilisierung von
Ungleichheit beiträgt, obwohl er ein idealer Ort wäre, um Aspekte der Differenz und Heterogenität
aufzugreifen. Ethnographische Studien von Kuhn (2013), Machold (2015) und Stockinger (2017) zeigen
die aktive Beteiligung von AkteurInnen in frühkindlichen Bildungseinrichtungen an der Konstruktion
und Verfestigung gesellschaftlich etablierter Unterschiede durch ihre Programme, Routinen und
Organisationsstrukturen auf. So werden in der Praxis etwa kulturelle Differenzen performativ
essentialisiert, individuelle Prägungen kulturalisiert und religiöse Unterscheidungen stabilisiert. Yildiz
(2009) legt offen, wie gerade im Rahmen interkultureller Bildung machtvolle, dichotome
ElFo
Elementarpädagogische Forschungsbeiträge, Band Jahrgang 1 / Heft 1 / 2019
- Titel
- ElFo
- Untertitel
- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge
- Band
- Jahrgang 1 / Heft 1 / 2019
- Herausgeber
- Lars Eichen
- Eva Pölzl-Stefanec
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 41
- Kategorien
- Zeitschriften ElFo- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge