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ElFo—Elementarpädagogische Forschungsbeiträge (2019), 1 (1), S. 24-30
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Zwischen Homogenisierung und Pluralisierung.
Elementarpädagogik inmitten religiös und weltanschaulich ambivalenter Ansprüche
Erkenntnisse im Fokus, die der Kindergarten für diese Disziplinen zu erschließen vermag. Zuletzt
wurden die Anfragen aus dem Kindergarten mit aktuellen Forschungen aus dem Fach Theologie
interkulturell gespiegelt und daraus Impulse für die Praxis formuliert (Brandstetter, 2017).
Umgangsweisen mit religiöser Pluralität (Ergebnisse)
An den Erzählungen der Elementarpädagoginnen zeigt sich, dass auch sie – analog zur Gesellschaft und
Realpolitik – von Homogenisierungssehnsüchten und Pluralitätsansprüchen gleichermaßen geprägt
sind. Sie versuchen einerseits, die Kinder hinsichtlich etablierter Normalitätsvorstellungen oder
öffentlicher Ansprüche zu vereinheitlichen und/oder der Diversität ihrer familiären Prägungen gerecht
zu werden. Keine dieser beiden Strategien lässt sich im Kindergarten dauerhaft durchsetzen, weil das
jeweils andere stets im Raum steht. Wo Homogenisierungs- und Pluralisierungsstrategien an ihre
Grenzen geraten, wird die Wechselwirkung zwischen beiden Strategien sichtbar, dort verlangt die
Praxis nach kreativen Lösungen jenseits binär angelegter Ordnungen. An den Umgangsweisen mit
religiöser Pluralität soll dies exemplarisch gezeigt werden. Genau dort kann die binäre Codierung und
eine damit verbundene Dichotomie starrer Identitätspolitiken auf einen Zwischenraum hin
überwunden werden.
Vermeidung religiöser Inhalte versus Identitätszuschreibung
Eine Interviewpartnerin erzählt von ihren Erfahrungen in einer privaten Bildungseinrichtung, in der
religiöse Inhalte vollkommen ausgeblendet werden.
„In der Gruppe waren bis auf das eine Deutsch sprechende Kind alle Kinder muslimisch.
Es war der Leiterin trotzdem wichtig, dass es ganz klar in dieser Gruppe nichts Religiöses
gibt. Also alles, was mit Religion irgendwie zu tun hatte, sollte sofort raus, hatte da
überhaupt nichts verloren.“ (H, 99-102)
Obwohl sich die Leiterin bemüht, den Bereich Religion auszusparen, wird der Kindergarten von ihrer
Kollegin aus der Mehrheitsgesellschaft als „muslimischer Kindergarten“ (H, 6) identifiziert. Die auf
einem öffentlichen Islamdiskurs basierende, religiös konnotierte Identitätszuschreibung lässt sich
offenbar nicht beseitigen.
Religiöse Selbstbehauptung versus religiöse Pluralität
Britta arbeitet in einem kirchlichen Kindergarten und besteht auf der Teilnahme aller Kinder und Eltern
bei den christlichen Festen, obwohl nach ihren Aussagen mehr als die Hälfte der Kinder muslimisch
sind.
„Es wird den Eltern ganz klar gemacht, dass dies ein christlicher, ein katholischer
Kindergarten ist. Wir feiern die Feste des Jahreskreises, des kirchlichen Jahreskreises, da
gibt’s nix!“ (B, 320-322)
Die „christliche Selbstbehauptung“ (Schweitzer, 2014) und der damit verbundene dominante
Homogenisierungsdiskurs funktionieren nicht: Die muslimischen Familien bleiben von den Festen fern.
Die religiöse Pluralität steht im Raum und kann nicht einfach vereinnahmt werden.
Synkretismus versus Identitätsverlust
In einem multikulturellen Kindergarten versucht eine Pädagogin das traditionelle Martinsfest für alle
Familien zu öffnen und religiöse Lichterfeste miteinander zu verknüpfen. Selbstkritisch erzählt sie:
ElFo
Elementarpädagogische Forschungsbeiträge, Band Jahrgang 1 / Heft 1 / 2019
- Titel
- ElFo
- Untertitel
- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge
- Band
- Jahrgang 1 / Heft 1 / 2019
- Herausgeber
- Lars Eichen
- Eva Pölzl-Stefanec
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 41
- Kategorien
- Zeitschriften ElFo- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge