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ElFo—Elementarpädagogische Forschungsbeiträge (2019), 1 (1), S. 24-30
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Zwischen Homogenisierung und Pluralisierung.
Elementarpädagogik inmitten religiös und weltanschaulich ambivalenter Ansprüche
„Beim Martinsfest, das wir damals ‚Laternenfest‘ genannt haben, haben wir die Eltern
gebeten, ob sie uns den Text von dem Lied ‘Ich geh mit meiner Laterne’ übersetzen. Das
war dann sowas von daneben, wie wir dann bosnisch und türkisch gesungen haben. Das
war für die Eltern wie ein Schock, also das war wie ein ‚culture clash‘ im umgekehrten
Sinne.“ (F, 245-251)
Die Eltern beklagen einen Identitätsverlust auf beiden Seiten: ‚Österreichische‘ Eltern fürchten um ihre
Tradition, ‚nicht-österreichische‘ Eltern fühlen sich durch die Vorführung eines fremden Liedes in ihren
Sprachen von einer fremden Tradition vereinnahmt.
Religiöse Fragen und Identitätsfragen im Spannungsfeld
In einem anderen Beispiel fragt ein Kind nach der Entstehung der Welt und konfrontiert die Pädagogin
mit dem Dilemma zwischen dem biblischen Schöpfungsglauben, den seine Oma vertritt, und der
Evolutionstheorie. Die Pädagogin sieht sich, wie sie sagt, vor einer schwierigen Aufgabe und antwortet
wie folgt:
„Na damals hab ich dem Kind gesagt, dass es halt verschiedene Erklärungen gibt und dass
halt eben das in der Religion so erklärt wird und dass es halt Wissenschaftler gibt, die
erklären das anders.“ (C, 470-472)
Die Pädagogin erkennt in der Orientierungssuche des Kindes die dahinterliegende Identitätsfrage und
löst diese nicht auf. Damit eröffnet sie einen Zwischenraum für einen Aushandlungsprozess, den das
Kind für sich lösen kann.
Komparative Religionsbegegnung im Zwischenraum
Ein letztes Beispiel erzählt wiederum von einem Martinsfest in einem religiös und kulturell pluralen
Kindergarten. Die Pädagogin weiß darum, dass muslimische Familien in der Regel von den christlichen
Festen fernbleiben. Dennoch gelingt es ihr, auch diese zur Teilnahme zu gewinnen, woraufhin folgende
Situation entsteht:
„Und dann fragten sich auf einmal die Eltern, was beim Martinsfest eigentlich gefeiert
wird. Die muslimischen Eltern berichteten vom muslimischen Opferfest, die anderen
haben das vom Martin erzählt und wie sie das erleben und dass sie eigentlich gar nicht so
viel wissen darüber. Mehrere Glaubensgruppen wollten dann wirklich die Legende vom
Martin und den eigentlichen Hintergrund des Festes erfahren.“ (F, 505-510)
Der Pädagogin gelingt es, einen Begegnungsraum für einander fremd-religiöse Eltern zu eröffnen, die
sich die eigene Tradition bzw. Religion in der Auseinandersetzung mit der jeweils anderen erschließen.
Eine komparative Religionsbegegnung entsteht, die den Zwischenraum nutzt.
Identitätsverhandlungen im Zwischenraum (Perspektiven)
Von der Praxis der ElementarpädagogInnen, die von kultureller Diversität und religiöser Pluralität
geprägt ist, lassen sich Erkenntnisse für eine diskurssensible Elementarpädagogik ableiten, die hier mit
ausgewählten interkulturellen Theologien gespiegelt werden. Es zeigt sich, dass Religion/en im
Kindergarten – zumindest diskursiv – eine Rolle spielen und PädagogInnen sich dazu verhalten müssen,
selbst wenn sie versuchen, alles Religiöse aus der Praxis auszuschließen. Dabei sind sie von dominanten
Homogenisierungs- bzw. Pluralisierungsansprüchen seitens der Trägerschaft, den Eltern oder
öffentlichen Erwartungen geleitet, aber auch mit dem eigenen Nähe- oder Distanzverhältnis zu
ElFo
Elementarpädagogische Forschungsbeiträge, Band Jahrgang 1 / Heft 1 / 2019
- Titel
- ElFo
- Untertitel
- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge
- Band
- Jahrgang 1 / Heft 1 / 2019
- Herausgeber
- Lars Eichen
- Eva Pölzl-Stefanec
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 41
- Kategorien
- Zeitschriften ElFo- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge