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Armut als zentrales Problem für frühpädagogische Organisationen?
ElFo—Elementarpädagogische Forschungsbeiträge (2019), 1 (2) S. 42-52
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demnach schlechte, „unwürdige“ Arme (Lemke, 1997, S. 195, Schäfer, 2018, S. 344)5. Aus
armutssoziologischer Perspektive (z. B. Lessenich, 2003; Coser, 1992, Simmel,1908/1992) lässt sich
anschließen, dass der gesellschaftliche und disqualifizierende Status „des Armen“ insbesondere
Menschen mit langanhaltendem Sozialleistungsbezug zugeschrieben wird, wohingegen andere
Personen mit kurzzeitiger finanzieller Ressourcenknappheit nicht auf diesen Status reduziert werden.
Dies zeigt sich auch in den vorgestellten empirischen Einblicken: Die Beschreibungen der
„kompensationsfähigen“ Eltern gleichen Einzelschicksalen, deren Verhaltensweisen kaum
verallgemeinert dargestellt werden. Sie bilden die Norm, wohingegen die „nicht-
kompensationsfähigen“ Eltern die Abweichung von dieser darstellen. Letztere erscheinen im Gespräch
als homogenere Gruppe, jedoch bilden nicht die Folgen struktureller Benachteiligung die
Gemeinsamkeit dieser, sondern deren individuelles Scheitern. Als Ursache von Armut wird ein von der
Norm abweichendes und negativ bewertetes (Miss-)Verhalten gesetzt, welches sich allerdings
teilweise nur im Spekulativen bewegt. Diese Kulturalisierung von Armut weist Ähnlichkeiten zum
Sprechen über die sogenannte „neue Unterschicht“ auf (Klein, Landhäußer & Ziegler, 2005, S. 45ff.).
Nicht beachtet wird von den Fachkräften, dass mit einer materiellen Unterversorgung weitere
eingeschränkte Lebenslagen einhergehen (Leßmann, 2009) und darüber hinaus eingeschränkte
Verwirklichungschancen und Handlungsspielräume für Eltern und Kinder mit sich bringen (Sen, 2010;
Schäfer-Walkmann & Störck-Biber, 2013). Mit Bezug auf die empirischen Einblicke bedeutet dies:
Anstatt einen transgenerationalen Sozialleistungsbezug ungleichheitstheoretisch zu begründen,
erklärt es eine Person zur selbstgewählten Entscheidung eines Kindes, „Hartzer“ zu werden. Die
strukturellen Beschränkungen der Handlungsmöglichkeiten und Verwirklichungschancen der Eltern
und Kinder werden durch die Sprecher und Sprecherinnen übersehen und deren „Kompensation“ als
private Vorleistung an die Familien delegiert, wodurch sich die Gefahr der Verfestigung sozialer
Benachteiligung ergibt.
An Autonomie und Integrität orientierte Arbeitsbündnisse als professionelle
Grundlage
In den Daten lässt sich ein eher expertokratisches Professionsverständnis im Kontext der Bearbeitung
von Kinderarmut rekonstruieren, welches sowohl bezüglich interner Ansprüche der Gruppe als auch
äußere Maßstäbe heranziehend kritisiert werden kann. Der eigene Anspruch der Fachkräfte, über das
notwendige Fachwissen zur Problemlösung zu verfügen, erweist sich als unerreicht, wenn
verschiedenste in der Praxis auftretende Sozialisationsprobleme unter „Armut“ subsumiert werden.
5 Die Figuren beanspruchten bis zum Ende des 18. Jh. Geltung (Schäfer, 2018, S. 326) und erlebten im Diskurs
zur sogenannten „neuen Unterschicht“ und den Tafeln eine Renaissance (Kessl, Klein, Landhäußer, 2012, S.
541ff.).
ElFo
Elementarpädagogische Forschungsbeiträge, Band Jahrgang 1 / Heft 2 / 2019
- Titel
- ElFo
- Untertitel
- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge
- Band
- Jahrgang 1 / Heft 2 / 2019
- Herausgeber
- Lars Eichen
- Eva Pölzl-Stefanec
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 77
- Kategorien
- Zeitschriften ElFo- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge