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Armut als zentrales Problem für frühpädagogische Organisationen?
ElFo—Elementarpädagogische Forschungsbeiträge (2019), 1 (2) S. 42-52
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Mit dem Professionskonzept einer strukturalen Theorie (z. B. Oevermann 2013) konfrontiert, zeigt sich,
dass aber selbst tatsächliches Verfügen über wissenschaftliches Wissen nicht als Garant für gelungene
Praxis gilt, sondern dies nur eine ingenieuriale Anwendung ermöglicht, was eine Erweiterung um eine
fallangemessene Komponente erforderlich macht. Diese Begründung pädagogischer Interventionen
im Einzelfall kann im Datenmaterial wenig gefunden werden. Die Problematik liegt auf der Hand: Bei
technokratischer Anwendung von Wissen wird die Eingebundenheit der „fachlichen“ Wissensbestände
pädagogischer Fachkräfte in staatliche Steuerungsstrategien virulent, da diese „zu einem staatlichen
Instrument der ‚Kolonialisierung‘ [werden] und (…) der je eigenen Handlungslogik [pädagogischer
Praxis widersprechen]“ (Ackermann & Owczarski 2000, S. 324). Aus dogmatischen Vorstellungen von
mit wissenschaftlichem Wissen ausgestatteten Fachkräften, sich selbst als Expertinnen und Experten
verstehend, drohen letztlich subsumtionslogische Handlungsroutinen und daraus erwachsende
Allmachtsfantasien zu resultieren, wobei die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der
Autonomie der Adressaten und Adressatinnen weniger Teil pädagogischer Überlegungen wird.
Als möglicher Weg aus dieser einseitigen Professionsidee kann das Arbeitsbündniskonzept
(Oevermann, 2013) herangezogen werden. Darin wird die Erforderlichkeit wissenschaftlicher Expertise
seitens der pädagogischen Fachkräfte zur Erfüllung ihres von den Eltern delegierten Auftrags zur
stellvertretenden Krisenbewältigung (Erziehung) anerkannt, zugleich jedoch die Gefahr einer De-
Autonomisierung mitgedacht, welche in der Dialektik von Autonomieorientierung und gleichzeitig
wachsender Abhängigkeit von ebenjener Expertise liegt. Das Eingehen eines Arbeitsbündnisses,
welches die Notwendigkeit der Stellvertretung ernst nimmt und zugleich die Autonomie und Integrität
der von Kinderarmut betroffenen Familien stärker in den Blick nehmen lässt, kann dem Ziel, Adressaten
und Adressatinnen (Kinder und Eltern) zur möglichst selbstständigen Bearbeitung zukünftiger Krisen
zu befähigen, beikommen. Damit rückt eine wesentliche, im Datenmaterial kaum aufzufindende
Funktion professionellen pädagogischen Handelns in den Vordergrund: Eine Erzeugung,
Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der „somato-psycho-sozialen Integrität“ der Adressatinnen
und Adressaten (Oevermann 2013, S. 125). Diese Einzelfallperspektive ist jedoch unbedingt um das
Wissen zu erweitern, dass es sich bei Krisen im Kontext von Kinderarmut nicht um das Problem
Einzelner handelt, sondern um die Auswirkung kapitalistischer Produktionsweisen, deren Bewältigung
nicht individualisiert werden kann. Dies macht eine kritische bzw. solidarische
Professionalisierungsperspektive (vgl. Bliemetsrieder, Maar, Schmidt & Tsirikiotis, 2016, S. 45)
notwendig.
Befähigungs- und entwicklungsorientierte Organisationsethik
In der Auseinandersetzung mit Armutslagen von Kindern zeigt sich, dass Bildungs- und
Bewältigungseuphorien im Sinne eines individuellen Krisenlösens zu kurz greifen. Das hat auch damit
ElFo
Elementarpädagogische Forschungsbeiträge, Band Jahrgang 1 / Heft 2 / 2019
- Titel
- ElFo
- Untertitel
- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge
- Band
- Jahrgang 1 / Heft 2 / 2019
- Herausgeber
- Lars Eichen
- Eva Pölzl-Stefanec
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 77
- Kategorien
- Zeitschriften ElFo- Elementarpädagogische Forschungsbeiträge