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2.2 Bedeutung fürBiografieundWerk
mitunter einer Spielart der „verdeckten Schreibweise“118, welche die
Erwartung des Regimes, statt sie auf dem Wege etwa der Allegorie zu
unterlaufen, gleichsamübererfüllt – in inhaltlicherwie in sprachlicher
Hinsicht. So wären auch die unvermutet gehässigen Ausfälle gegen „die
Polen“,die imkrassenWiderspruchzurAnteilnahme,dieLernetsAlter
ego Wallmoden in Mars im Widder gegenüber seinen – ihm wie dem
Autor aus dem Ersten Weltkrieg noch als Kameraden erinnerlichen –
Gegnern empfindet,119 stehen, zu erklären: „Ich habe einen schreckli-
chenHassgegendiePolendavongetragen.WasdieseMenschengetan
haben,warvonAnfangbis zumEndeblöd,widerwärtig, gemein,dumm,
feig und hysterisch“ (S.105). Ebenso in diesen Erklärungszusammen-
hanggehörenwohldiejenigenStellen indenBriefenanLotteSweceny,
in denenLernet den „Führer“ bzw. dessenTaten und Äußerungen mit
etwaszuhoch temperierterPanegyrikbedenkt:
Hast Du den wunderschönen Artikel des Führers über den Neubau
der Reichskanzlei gelesen? Seltenhat jemand so klar und bezeich-
nendüberArchitekturgesprochen. (S.96)
Dawird’s ihnenderFührer [...]hoffentlich tüchtiggeben. (S.135)
Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, dass es dem Führer gelingen
wird,dieganzeRussenbande,undseienesauch20MillionenBe-
waffnete und Dutzende von Millionen von Flintenweibern und He-
ckenschützen, zusammenzufangenundzuvernichten. (S.167)120
118 ZumBegriff der „verdecktenSchreibweise“ vgl. v.a. HeidrunEhrke-Rotermund/Erwin
Rotermund:ZwischenreicheundGegenwelten.TexteundVorstufenzur ,VerdecktenSchreib-
weise‘ im„DrittenReich“.München:WilhelmFinkVerlag1999.
119 „Am dreiundzwanzigsten war der Feldzug zu Ende. Auch der Sommer war zu Ende,
[...] und noch in dieser Nacht regnete es [...] über dem unseligen, geschlagenen,
zerschmettertenPolen“ (A.Lernet-Holenia: Mars imWidder, S.221f.).
120 InsbesonderedieseStellewirktunglaubwürdig:UnmittelbarnachdemLernetüberdie
„Russenbande“und„Flintenweiber“ vomLedergezogenhatte, schreibt er: „Nebenher
beschäftigenmichaberauchnochdieMaximenvonLarochefoucault. Lies sie, sie sind
sehrherzoglichund sehrmenschlich“ (ebd.,HervorhebungC.D.)–eineGegenüberstel-
lung, die den „Führer“ als pöbelhaften Unmenschen, als „schlimmste[n] Knecht“, wie es
1946 inGermanienheißenwird,desavouiert.ZurProblematikderdort anklingenden
„feudale[n] Prägung der lyrischen Vorstellungswelt“ (Daniela Strigl: „Es gibt Taten, die
soungeheuer sind,daßkeineSühnehilft.“ÜberdasZeitgemäßeanLernetsGermani-
en. In:HélèneBarrière/ThomasEicher/ManfredMüller [Hrsg.]: Schuld-Komplexe.Das
Werk Alexander Lernet-Holenias im Nachkriegskontext. Oberhausen: Athena Verlag 2004,
S. 65–90, hier S.81) vgl. Pein: „Germanien“ nach Auschwitz, S.242ff. und, konträr,
Strigl: ÜberdasZeitgemäßeanLernets „Germanien“, S.81f.
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Title
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Subtitle
- Briefe 1938-1945
- Author
- Christopher Dietz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 468
- Categories
- Weiteres Belletristik