Page - 52 - in Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny - Briefe 1938-1945
Image of the Page - 52 -
Text of the Page - 52 -
2 EinfĂŒhrung
Dieser Deutung des Krebszugs als Allegorie auf den RĂŒckzug der be-
siegten Wehrmacht aus dem Osten schlieĂt sich denn auch â mutatis
mutandis â die Mehrzahl der Interpreten an.167 Leicht daneben liegt
wohlBeer,wennerschreibt,derKrebszugseieinSymbol fĂŒrdieâgroĂen
[deutschen,C.D.]Panzerarmeen[...], die ihremUntergangblindent-
gegengingenâ168 âdieKrebsewandernvonOstennachWesten, also in
dieGegenrichtungderdeutschenPanzergeschwader.Ruthner legt sich
nicht auf eine Himmelsrichtung oder eine Armee fest, sondern sieht
denâKrebszug[...] alsmythisch-visionĂ€resGleichnis fĂŒr einenKriegs-
ausbruch, fĂŒrden,wiees scheint, auch âhöhereMĂ€chteâ verantwortlich
sind; alsBinnenerzÀhlung enthÀlt er ebensodieFabel innuce wie auch
eine eventuelle âBotschaftâ des Romansâ.169 Luehrs-Kaiser ortet in der
Wanderung der Krebse weniger eine dezidierte politische Aussage als
âdas motivische Zentrum eines Buches, dessen Handlung ein poetisches
Beispiel fĂŒr die metaphysische Determiniertheit, fĂŒr die Unausweichlich-
keit des Schicksals und fĂŒr das Leben âin einem [...] Zwischenreichâ zu
gebenversuchtâ.170
167 SoetwaRocËek:DieneunLeben (S.228),Funk:ArtistischeUntergĂ€nge (S.38), sowieHan:
StudienzueinerMonographie (S.110).1968hatLernetdanndie Interpretation selbst
nachgeliefert:das âVorrollender russischenPanzerâ sei gemeintgewesen(Alexander
Lernet-Holenia:Brief anErnstSchönwiese [ĂLA,NachlassErnstSchönwiese,20/93].
9. Feb. 1968). Es liegt freilich in der Natur der Metapher, dass sie unterschiedliche
Interpretationen zulÀsst; insofern ist die nachgereichte ErklÀrung Lernets wohl auch
einer Positionierung im zeitlichen Zusammenhang, in dem sie getÀtigt wurde, zu unter-
ziehen(undbei einemAutor,der seineSpurengerneverwischteundmitGenuss falsche
FĂ€hrten legte,wohlauchmitVorsicht zugenieĂen).
168 Beer: Lernet imMars, S.49.
169 Ruthner:FataleGeschichte(n) imâZwischenreichâ,S.14.Nochoffener legtErikHau-
ser seine Interpretationan: âWallmodensVisionvondenwanderndenKrebsenâbiete
âEinsicht in die zyklische Natur eines Geschehens, das sich seit archaischer Zeit in ewig
gleicher Weise wiederholt: dem Wandern der Völker von Ost nach West [...]â (Hauser:
Zwischenreiche, S.158). MĂŒller-Widmer will im Krebszug ĂŒberhaupt den âInbegriff
desBösenschlechthinâ sehen,dereine âumfassende[]UntergangsvisionderMensch-
heitâ bedeute (MĂŒller-Widmer: Alexander Lernet-Holenia. GrundzĂŒge seines Prosa-Werks,
S.105),DassanowskyhingegenâtheexileordestructionofChristianandJewishAus-
triansâ (Dassanowsky: Phantom empires, S.105). Pollet hĂ€lt die Episode fĂŒr ein âblindes
Motiv des Phantastischen, das keine andere Funktion im Handlungskontext innehat,
als die PhantastizitĂ€t des Ganzen als solche zu erzeugenâ (Pollet: PrĂ€destination und
PhantastizitÀt, S.215).
170 KaiLuehrs-Kaiser:DerGebrauchdesTrivialen.ZurFunktiondesGattungsklischees in
denRomanenAlexanderLernet-Holenias. In:ThomasHĂŒbel/ManfredMĂŒller/Gerald
Sommer (Hrsg.): Alexander Lernet-Holenia. Resignation und Rebellion. âBin ich denn
wirklich,was ihr einstwart?âBeitrĂ€gedesWienerSymposions zum100.Geburtstagdes
52
Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Title
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Subtitle
- Briefe 1938-1945
- Author
- Christopher Dietz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 468
- Categories
- Weiteres Belletristik