Page - 8 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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Jonathan Roberge und Robert
Seyfert8
nehmend in den Algorithmen steckt«1 (Lash 2007: 71), eine Vorstellung, die
sich auch bei Galloway wiederfindet, wenn er schreibt: »die Macht residiert
heutzutage in Netzwerken, Computern, Algorithmen, Informationen und
Daten« (Galloway 2012: 92). Und doch ist es geboten, solchen Formulierun-
gen zurückhaltend zu begegnen, denn ihnen wohnt die Tendenz inne, zu
schnell kritische Urteile zu fällen. Zwar erfassen solcherlei Formulierungen
wichtige Herausforderungen, die mit dem ›Aufstieg der Algorithmen‹ zwei-
felsohne verbunden sind, allerdings insinuieren sie auch das Moment eines
teleologischen bzw. deterministischen, gleichsam ›verführerischen‹ Dramas,
wie Ziewitz jüngst warnend einwarf (Ziewitz 2016: 5). Algorithmen stellen aus
dieser Perspektive zuvorderst profane, wenngleich tief in unsere Gesellschafts-
struktur eingelassene, Bestandteile dar. Viel eher noch als omnipotente Sou-
veräne gegenwärtiger Gesellschaft, lassen sich Algorithmen als vieldeutig und
mitunter auch als äußerst chaotisch charakterisieren. Entscheidend ist dann
die Frage, wie und vor allem warum die scheinbare Einfachheit der Algorith-
men untrennbar von deren immenser Komplexität ist – Komplexität hier im
Sinne der vielseitigen Einsatzfähigkeit der Algorithmen und der Multiplizität
ihrer Wirkungen und Wechselbeziehungen. Dies sind nun Fragestellungen
epistemologischen, wie auch ontologischen Charakters, die sich nicht nur den
Sozialwissenschaften stellen, sondern die Gesellschaft im Allgemeinen betref-
fen. Der Algorithmus als Sortierverfahren das stets beides ist, ein bekanntes
Unbekanntes sowie ein unbekanntes Bekanntes bedarf selbst noch eines sortie-
renden Zurechtrückens.
Freilich ist diese Einleitung nicht die erste, diejenigen Schwierigkeiten
hervorzuheben, die sich beim Versuch der wissenschaftlichen Durchdrin-
gung von Algorithmen ergeben. So bezeichnet Seaver die Algorithmen etwa
als »knifflige Gegenstände der Erkenntnis« (Seaver 2014: 2) und auch Sandvig
verweist auf »die Schwierigkeiten Algorithmen zu erklären« (Sandvig 2015: 1;
siehe dazu auch Introna 2016; Barocas et al. 2013). So konzeptuell weitsichtig
diese Einwände auch sind, sie schließen derweil keineswegs die Notwendigkeit
aus, das Maß dieser Unsichtbarkeit und Unergründbarkeit der Algorithmen zu
begreifen. Nur allzu oft wird der Algorithmus als black box heraufbeschworen
und darauf verwiesen, dass man es mit ungemein wertvollen und darüber hin-
aus patentierten Geschäftsgeheimnissen zu tun hat, die von Unternehmen wie
Amazon, Google und Facebook vor firmenfremden Zugriffen geschützt sind.
Zahllose Technik-, Wirtschafts-, Rechts- und Politexperten betonen denn auch,
dass ihre Enthüllung, d.h. der öffentliche Zugriff auf die Algorithmen, gleich-
bedeutend mit ihrem Ende wäre (Pasquale 2015). An dieser Stelle beginnt die
Sache allerdings schon komplizierter zu werden. Es gibt nicht eine black box,
1 | Hier, wie im Folgenden handelt es sich um meine Übersetzung. Die Seitenzahlen
beziehen sich auf das jeweilige Original. A.d.Ü.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik