Page - 11 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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1. Was sind Algorithmuskulturen? 11
worrenen Entfaltungen der Algorithmen richtig und sorgfältig zu entziffern,
stellt für die Sozialwissenschaften im Allgemeinen und die Kultursoziologie
im Besonderen eine dringende Herausforderung dar. Um nur einige der sich
aufdrängenden Fragen zu nennen: Was passiert mit Algorithmen, sobald sie
zu einem gesonderten Gegenstand der Forschung gemacht werden? Und wie
sollten oder müssen wir uns darauf einstellen? Inwiefern müssen oder sollten
wir unsere heuristischen Instrumente anpassen, welche Grade der Präzision,
welche Schwerpunktwechsel anpeilen?
Es ist nun der richtige Moment, den Forschungsstand zu Algorithmen
in den sogenannten ›weichen Wissenschaften‹ zu taxieren und dabei beides,
Schwächen wie Vorzüge zu analysieren. In der Tat hat die Forschung zu Algo-
rithmen bereits einen gewissen Reifegrad erreicht, und das obwohl sie erst seit
kurzer Zeit in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften aufgetaucht ist.
Gegenwärtig gibt es einige vielversprechende Strömungen, die allerdings quer
zueinander fließen und eher koexistieren, als sich wechselseitig zu befruch-
ten. Erstens wären hier Autoren zu nennen, die eine Art von ›Inselbegrifflich-
keit‹ bilden: »algorithmic turn« (Uricchio 2011), »algorithmische Ideologie«
(Mager 2012), »algorithmische Identität« (Cheney-Lippold 2011), »algorithmi-
sches Leben« (Amoor/Piotukh 2016) wären hier unter anderen zu nennen. Es
finden sich auch schon nennenswerte Bestrebungen zu einer »Soziologie der
Algorithmen«, die aus den Feldern der STS und der Social Studies of Finance
hervorgegangen sind (MacKenzie 2015, Wansleben 2012). Ebenso lassen sich
erste Gehversuche der Critical Algorithm Studies beobachten (The Social Media
Collective 2015). Zudem ließen sich in den letzten Jahren einige wichtige Kon-
ferenzen zum Thema in Nordamerika und Europa registrieren: ›Governing
Algorithms‹ (Barocas et al. 2013), sowie diejenige, die zu diesem Buchprojekt
geführt hat, seien hier erwähnt (Ruhe 2014). All jene unterschiedlichen An-
sätze der letzten Jahre haben richtungsweisende epistemologische Fragen auf-
geworfen. Diese betreffen nicht zuletzt den angemessenen Umfang, den man
der Forschung zu Algorithmen beimessen sollte, sondern auch die Frage nach
der richtigen Distanz zum Gegenstand der algorithmischen Kultur steht im
Raum und betrifft mithin das adäquate Maß an kritischer Reflexion des For-
scherstandpunktes. Eine weitere virulente Problemlage betrifft das gegebene
Risiko in die »Falle des Neuen« zu tappen, oder anders formuliert: Die Frage
steht im Raum, ob es sich bei den Algorithmen nicht ›nur‹ um eines jener aus-
schließlich von der eigenen Adoleszenz zehrenden »heißen Themen« handelt
(Beer 2003: 6f.; Savage 2007).
Konzeptionelle Innovation im Lichte dieser Frage- und Problemstellungen
müsste folglich bedeuten, auch auf etablierte und bereits bewehrte Heuris-
tiken zurückzugreifen und auf diesen aufzubauen. Wir möchten diese Ein-
führung daher auch dafür nutzen, eine klassische Intervention Alexander R.
Galloways zu überdenken und zu modifizieren: Galloway hatte unsere Kultur
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik