Page - 13 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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1. Was sind Algorithmuskulturen? 13
nicht voneinander zu trennen sind. Andererseits ist er sich vollkommen dar-
über im Klaren, dass sich die ›öffentliche‹ Beschaffenheit der Kultur gegen-
wärtig Prozessen der Privatisierung ausgesetzt sieht und sich zunehmend auf
verstreute black boxes verteilt. Wenn man nach etwas Problematischen inner-
halb von Striphas Argumentation sucht, so findet man es (wenn überhaupt)
an anderer Stelle. Ein neuralgischer Punkt befindet sich in der Tendenz zur
Abstraktion und Allgemeinheit, und dem damit einhergehenden Mangel an
Konkretion. Um es wiederum konkreter zu formulieren: Zu konstatieren,
dass wir gegenwärtig eine Verlagerung hin zu algorithmischer Kultur verneh-
men, erfordert keineswegs einen einzigen allumfassenden und alles revidie-
renden theoretischen Spielzug. Striphas Vorstellung von Algorithmuskultur
bleibt jedoch der einen Kultur verpflichtet. So einleuchtend und folgerichtig
Striphas Argumentation auch verfährt, letztlich hat sie es daher schwer, der
gegenwärtigen algorithmischen Pluralität gerecht zu werden und die Varietät
an heterogenen und fraktalen Algorithmen zu erfassen. Die Aufgabe lautet
ergo wie folgt: Wie erlangen wir ein adäquates Verständnis von Algorithmen;
ein Verständnis das Bedeutung ernst nimmt und dabei die den Algorithmen
innewohnende Performativität und Unordnung wahrnimmt? Ein möglicher-
weise gangbarer Weg führt uns zunächst etwas weiter in die Vergangenheit
zurück. Schon zu Anfang der 1970er Jahre insistierte Michel de Certeau dar-
auf, dass jedweder Definitionsversuch von Kultur nur im Plural erfolgen kann
und nur auf der Einsicht in die irreduzible Multiplizität von Kultur aufbauen
könne (de Certeau 1974). Obgleich sich de Certeau der heutigen Bedeutsam-
keit der Algorithmen freilich nicht prospektiv bewusst sein konnte, erweisen
sich seine Überlegungen in unserem Zusammenhang als fruchtbar, da sie
uns daran erinnern, dass wir es mit einem Zeitalter der algorithmischen Kul-
turen im Plural zu tun haben.
Es mag mit Begriffen logisch schwer vermittelbar erscheinen, aber das eine
kann sehr vieles sein, und eine Vielzahl distinkter Elemente kann sich sehr
wohl als kommensurabel erweisen. Man denke nur an die Archipele der Baha-
mas oder der Philippinen, um ein anschauliches Exempel zu geben. Gerade in
Bezug auf Algorithmen ist es nun wichtig zu verstehen, wie bestimmte sepa-
rierende Einhegungen sich letztlich zu einem größeren Ganzen fügen. Freilich
gibt es viele Wege, solcherart Einhegungen intelligibel zu machen. Einer, mitt-
lerweile zum kultursoziologischen Mainstream avancierter Weg findet sich
mit Jeffrey Alexanders Begriff der ›relativen Autonomie‹ der Kultur, welcher
die Interdependenz kultureller Realitäten und anderer sozialer Kräfte unter-
streicht (Alexander 2004, 1990; Alexander/Smith 2002, 1998; Sanz/Stančík
2013). Von hier aus lässt sich verständlich machen, wie Algorithmen ein ›rou-
tinisiertes‹ Innen, eine innere, selbstreferentielle Logik generieren können,
die gleichsam in ein Kraftfeld stetiger Wechselwirkungen mit Bedeutungen
eingespannt ist. Algorithmen sind textuelle Realität, noch bevor sie zu ma-
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik