Page - 15 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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1. Was sind Algorithmuskulturen? 15
Adaption und fortwährender Informationsaustausch sind ja allesamt Charak-
teristika rekursiver, quasi-zirkulärer Routinen, welche die nicht-lineare Ent-
faltung von Algorithmen kennzeichnen. Göran Boling und Jonas Anderson
Schwartz haben dieser Idee denn auch vor kurzem eine praktische Wendung
gegeben, indem sie feststellten, dass
»(a.) das Fachpersonal in der täglichen Arbeitstätigkeit antizipieren muss, was der End-
verbraucher denkt und fühlt; [… und dass] (b.) viele alltägliche Nutzerinnen zu antizi-
pieren versuchen, was das […] Mediendesign mit ihnen machen wird, […] was wiederum
einen Rückgriff auf (a.) zur Folge hat« (Boling/Anderson Schwartz 2015: 8).
Google dient hier als ein vortreffliches Beispiel. Wie Dominique Cardon dar-
legt hat, gibt es hier einen multivalenten und komplexen »PageRank spirit«
(2013, vgl. auch in diesem Band) in dem symbolische und performative As-
pekte stetig interagieren. Ein solcher ›Spirit‹ lässt sich etwa in den zyklischen
Antizipationen von Bedürfnissen, in der Zufriedenheit mit dem Ergebnis und
der Personalisierung der Navigation – allesamt für die Suchmaschine typische
Verfahren – sehr leicht ausmachen. Dieser ›Spirit‹ zeigt sich aber auch in der
Einführung ausgeklügelter Algorithmen der letzten Jahre wie etwa Panda,
Penguin, Hummingbird und Pigeon – und in ihrem Kampf gegen die ›ver-
schmutzenden Kräfte‹ der Suchmaschinenoptimierung (Röhle 2009). In letz-
ter Zeit wird dieser Spirit auch in Googles Bestrebungen sichtbar, eine Balance
zwischen normaler leistungsorientierter Indexierung und den eigenen kom-
merziellen Bedürfnissen zu finden, welche der Finanzierung zukunftsweisen-
der technologischer Unternehmungen dienen. Die drei angeführten Beispiele
sind nun nicht nur selbst rekursiver Natur, sie sind auch selbst miteinander
verknüpft, zusammen kreieren sie eine unverwechselbare, machtvolle und be-
deutsame Algorithmuskultur. Genau das macht Googles eigene »Suchkultur«
(Hilles et al. 2013) aus oder um es unverblümter zu formulieren: das Googleplex
(Levy 2011). Verweist eine solche Kultur darauf, dass das Unternehmen keine
Ahnung davon hat, was draußen vor sich geht? Mit Sicherheit nicht. Nein, es
bedeutet vielmehr, dass Googles Algorithmuskultur mit anderen Kulturen ko-
operieren oder sich gar in vielerlei Hinsicht überschneiden kann – wir analy-
tisch allerdings nichtsdestotrotz gut daran tun, diese einzelnen Kulturen nicht
zu verwischen. Eine scharfsinnige Analytik von Algorithmuskulturen sollte
sowohl zur Nahaufnahme als auch zur Fernsicht fähig sein, um die Spezifika
bestimmter algorithmischer Kulturen ebenso in den Blick zu bekommen, wie
die übergreifenden Gemeinsamkeiten zwischen ihnen.
Die Beispiele hierfür dürften sehr zahlreich sein: Individualität und Reich-
weite, Eigenart und Gemeinsamkeit, Besonderheit und Vergleichbarkeit, das
kleine und das große Ganze. Natürlich können sich Algorithmen quer zu
verschiedensten sozialen, ökonomischen und politischen Sphären bewegen.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik