Page - 20 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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Jonathan Roberge und Robert
Seyfert20
Formen dessen, was er als »Onlinechoreografie« bezeichnet. Während tradi-
tionelle Onlinewerbungen noch unterschiedslos für alle Besucher auf Web-
sites platziert werden – klassisch etwa im Banner oberhalb des Webcontents
– so passen innovativere Vermittler wie Dstillery die Werbeschaltung an das
an, was sie als die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Nutzers zu erken-
nen meinen. Data-Mining, verhaltensspezifisches Targeting2, kontextuelles
Werben und maschinell lernende Algorithmen sind also Bestandteile ein und
desselben Arsenals. Das Ziel besteht hier in der Generierung eines »Marktes
des Einzelnen«, in dem das einzelne Subjekt durch personalisierte Werbungen
adressiert wird. Es geht letztlich darum, »die richtige Person, zur richtigen
Zeit mit dem richtigen kreativen Inhalt« zu adressieren (Introna in diesem
Band: 62). Solcherlei Form der Choreographie erfordert und entwirft be-
stimmte Formen der Subjektivität. Introna spricht diesbezüglich von »beein-
flussbaren Subjekten«, von Subjekten, die willens sind, sich jederzeit von den
Informationen beeinflussen zu lassen, die Algorithmen für verschiedene Zeit-
punkte für sie aufbereitet haben. Eine der Arten und Weisen den Kunden via
Onlinewerbung zu erreichen, besteht im sogenannten Prospecting, die Daten
werden hier gewissermaßen direkt ›an Ort und Stelle‹ über die Aktivitäten
der Nutzerin (z.B. Klicks oder Suchanfragen) gesammelt. Aus diesen Daten
lassen sich sodann Korrelationen ableiten und der Nutzer wird ›gekennzeich-
net‹ (»branded«): Wer auch immer eine bestimmte Website besucht, könnte ja
an den gleichen Produkten interessiert sein, wie eine Nutzerin, die ähnliche
Websites benutzt. Einerseits wird das Subjekt in Algorithmuskulturen als eine
rein statistische Größe behandelt – als »branded subject«. Andererseits spielen
die Subjekte hier keine gänzlich passive Rolle. Vielmehr sind sie selbst an der
ihnen vorgesetzten Informationsselektion beteiligt und bestimmen auch mit,
wie sie sich von dieser beeinflussen lassen. Die Subjekte sind gewissermaßen
Ko-Kuratoren dessen, was sie zu sehen bekommen (und gegebenenfalls kau-
fen) – sie kuratieren die Selektion über ihr eigenes Verhalten mit. Nicht nur
das Verhalten der Nutzerin, ebenso die Onlinewerbung selbst ist daher eine
zutiefst kulturelle und soziale Angelegenheit, da sie entweder Subjekte ent-
wirft oder es verfehlt, mit ihnen in Kontakt zu treten. Introna zeigt so, inwie-
fern Algorithmuskulturen un multiple darstellen, un multiple, das unspezifisch
und personalisiert zugleich ist. Das Platzieren einer Werbung entwirft oder
bestätigt das Subjekt auf eine sehr personalisierte Weise: Wer ich sein werde,
hängt davon ab, wo ich surfe. Eine falsch geschaltete Werbung kann das Sub-
jekt allerdings ebenso gut in Frage stellen oder beleidigen (›Warum bekomme
ich das gerade zusehen?‹).
2 | Targeting bezeichnet hier die genaue Zielgruppenansprache im Onlinemarketing.
A.d.Ü.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik