Page - 22 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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Jonathan Roberge und Robert
Seyfert22
Mechanismen des Gatekeepings unter die Lupe zu nehmen. Den Sozialwissen-
schaften stellt sich eine doppelte Aufgabe: Einerseits sind sie angehalten ein
neues ganzheitlich ausgerichtetes Verständnis dieser Mechanismen zu erlan-
gen; gleichzeitig und im Sinne eines solchen Verständnisses bedarf es aller-
dings auch stärker empirisch ausgerichteter Analysen (Kitchen 2014; Ruppert
et al. 2013). Ein exzellentes Beispiel für letztere bieten Jean-Samuel Beuscart
und Kevin Mellet in diesem Band. Sie widmen LaFourchette.fr und anderen
Kundenbewertungs- und Rezensionsplattformen eine ausführliche Untersu-
chung. Solche Rezensionsportale stellen mittlerweile ein nahezu ubiquitäres
Bewertungsinstrument im Netz dar. Beuscart und Mellet können aufzeigen,
dass diese Omnipräsenz ein Handlungsbewusstsein seitens der Akteure
keineswegs ausschließt und dass es hier zu vielschichtigen Aushandlungs-
prozessen zwischen menschlichen, aber auch nicht-menschlichen Akteuren
kommt. Die Verfasser von Rezensionen entbehren keineswegs der Reflexivität,
so dass Beuscart und Mellet zufolge, »zumindest ein Teil der Effektivität dieses
Phänomens auf der Fähigkeit ihrer Nutzer beruht, ein kohärentes Nutzungs-
muster aufzubauen, das ihre Bewertungsaktivität auf ein gemeinsames Ziel
hin reguliert« (Beuscart/Mellet in diesem Band: 125). Die Selbstachtung der
Verfasser rührt in diesem Kontext von dem Gefühl her, dass es eine Art der
Leserschaft gibt, die eine Form des rationalen und vergesellschafteten Urteils
fällt. So kann sich die vage Vorstellung einer kollektiven Intelligenz bilden, die
wirksam genug ist, um als performativ zu gelten.
Natürlich ist auch die Frage danach nicht zu vernachlässigen, ob die frag-
mentarische Beschaffenheit der Empfehlungs-Algorithmen denn nun als un
multiple verstanden werden kann. Verschiedene Kalkulationsroutinen erzeu-
gen auch verschiedene Outcomes und daher drängt sich die Frage auf, was das
für ontologische und epistemologische Konsequenzen nach sich zieht. Einer
solchen Problemperspektive nimmt sich Dominique Cardon in diesem Band
an. Er schlägt dabei im Wesentlichen eine Klassifikation klassifikatorischer
Prinzipien vor und fokussiert dabei entlang von Unterscheidungsmerkmalen,
die nicht in simpler und direkter Abhängigkeit von ökonomischen Kräften
stehen. Vielmehr fragt er auch nach zirkulären Dependenzen und sondiert
entlang von Begrifflichkeiten wie Relation, Opposition, Vergleich und ande-
ren. Damit vollzieht er eine begriffliche Bewegung, die sich eng an Alexanders
oben angeführtes Begriffskonglomerat der »relativen Autonomie von Kultur«
schmiegt. Cardon diskutiert vier verschiedene Typen der Kalkulation und die
Weisen, wie diese den »Wettbewerb um die beste Methode des Datenrankings«
beeinflussen: neben dem Web als eine Berechnung der Klicks der Internetnut-
zer; oberhalb des Webs als eine leistungsorientierte Bewertung der Links; inner-
halb des Webs als ein Maß von ›Likes‹ und Popularität; und unterhalb des Webs
als eine Aufzeichnung von Verhaltensspuren, die maßgeschneiderte Werbung
ermöglicht. Die vier Typen zeigen sehr verschiedene Metriken, Verfahren und
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik