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1. Was sind Algorithmuskulturen? 23
Populationen und doch sind sie insofern kommensurabel, als sie allesamt eine
systemische Verschiebung in der Selbstrepräsentation von Gesellschaft anzei-
gen. Digitale Algorithmen geben »Events den Vorzug (Klicks, Käufe, Interaktio-
nen usw.), die sie auf die Schnelle aufzeichnen, um sie mit anderen zu verglei-
chen, ohne breite Kategorisierungen machen zu müssen« (Cardon in diesem
Band: 146). Die klassischen Statistiken, die auf Variablen wie ›Geschlecht‹ oder
›Rasse‹ basieren, werden zunehmend von präziseren und individualisierten
Messwerten abgelöst. Gesellschaft erscheint wiederum als eine zunehmend
heterogene ex-post-Realität, für welche die beste Erklärung die ist, dass es kei-
ne wirklich umfassende und grundsätzliche Erklärung gibt – mit all den Kon-
sequenzen, die sich daraus für die Sozialwissenschaften ergeben.
Von der algorithmischen leistung
Zum algorithmischen scheitern
Instabilität, Brüchigkeit und Unordnung, all das sind Merkmale einer Praxeo-
logie der Algorithmuskulturen. In Kontrast zum herrschenden Paradigma der
Computerwissenschaften, das Algorithmen gemeinhin als prozedurale und
abstrakte Verfahren beschreibt, konzeptualisieren wir Algorithmen als prak-
tische Entfaltungen (Reckwitz 2002). Schon Galloway hat in seinem grund-
legenden Aufsatz die pragmatischen Aspekte algorithmischer Kulturen hervor-
gehoben: »Leben bedeutet heutzutage zu wissen, wie man Menüs bedient.«
(Galloway 2006: 17) Als Nutzer agieren wir in algorithmischen Kulturen in-
dem wir Algorithmen bedienen. So ist beispielsweise die Handhabung von
Softwaremenüs eine Praxis und Interaktion mit anderen menschlichen und
nicht-menschlichen Akteuren in der wir algorithmische Vorrichtungen nut-
zen: Wir planen und terminieren Treffen mit unserem Onlinekalender, wir
arrangieren Benachrichtigungen via Email, halten unsere Navigationsdiens-
te an, uns den Heimweg zu zeigen usw. Wir aktivieren und deaktivieren Al-
gorithmen um unser tägliches Leben zu bewältigen. Algorithmen sind also
weniger Codes, sie sind Realisierungen sozialer Relationen zwischen diversen
Akteuren und Aktanten.
Ebenso wie Praktiken zeichnen Algorithmen sich durch rekursive und
stark verinnerlichte Routinen aus. Algorithmen sollen die Ausführung repe-
titiver Aufgaben unterstützen; sie führen Tätigkeiten aus, um kognitiven und
affektiven Aufwand zu reduzieren und ermöglichen es so, die Aufmerksamkeit
auf wichtigere und vielleicht interessantere Aufgaben zu richten. Die Analyse
von Algorithmen als Routinen oder als routinisierte Praktiken berücksichtigt
die Abweichungen von den mathematischen und technischen Skripts, Ab-
weichungen, die aus verschiedenen Quellen hervorgehen können. Sie können
etwa aus Konstruktionsfehlern, mangelhafter Ausführung, chaotischem Ab-
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik