Page - 25 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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1. Was sind Algorithmuskulturen? 25
verändern sie die Beschaffenheit sozialer Beziehungen: Sie entflechten soziale
Beziehungen und schneiden bestehende ab, indem sie neue erschaffen. Algo-
rithmen innerhalb geräuschunterdrückender Kopfhörer sind ein Beispiel für
solche Trennungen, sie entziehen den sozialen Beziehungen gewissermaßen
die akustische Kommunikation. Personalisierte Algorithmen formen so Ge-
hege um das Subjekt herum, in denen »der Körper zu einem Teil des Audio-
Systems wird« (Klett in diesem Band: 158). Körper und technische Vorrichtung
erschaffen auf diese Weise eine geschlossene algorithmische Kultur.
Nun werden Algorithmen in unseren Tagen nicht allein von Menschen
hervorgebracht, sondern auch von Algorithmen selbst. In der Tat haben wir
es mit unendlichen Ketten von Algorithmen zu tun, die sich wechselseitig
steuern. Ein eingehender Versuch, diese Verkettungen zu durchdringen lässt
allerdings schnell Zweifel an der Sinnhaftigkeit der antagonistischen Gegen-
überstellung von menschlichen und algorithmischen Routinen aufkommen
– ein Antagonismus der in den Computerwissenschaften mit ihren Vorstel-
lungen algorithmischer Objektivität und purer Rationalität nur allzu heimisch
ist. Das kunstvoll errichtete Imaginäre der Computerwissenschaften basiert
und reproduziert den klassischen Mythos vom Kampf zwischen Mensch und
Maschine, beispielhaft veranschaulicht in mythischen Ereignissen wie den
Schachspielen zwischen Kasparov und Deep Blue, und ignoriert notorisch die
humane Immersion in Algorithmuskulturen. Eine solche Immersion zeigte
sich beispielsweise angesichts der optimierenden Eingriffe seitens der Pro-
grammierer zwischen den einzelnen Schachpartien, die dazu dienten, die Al-
gorithmen besser an die Spielweise Kasparovs anzupassen. Man kann nicht
oft genug darauf hinweisen, eine Definition der Algorithmen als rein formale
Verfahren erfasst allein präzise und identisch repetierbare Prozesse, wohinge-
gen die Untersuchung von Praktiken und Performances auch Abweichungen
und Divergenzen berücksichtigt. Unbeständige Aushandlungen, Abweichun-
gen, Fragilität und eine Neigung zum Scheitern sind wesentliche Merkmale
von Algorithmuskulturen. Im ›echten Leben‹ versagen Algorithmen häufig,
ihre Interaktionen und Operationen sind chaotisch. Instabile Aushandlun-
gen, Verzögerung, Fragilität und eine Neigung zu Fehlern sind in jedem Fall
wichtige Merkmale algorithmischer Kulturen. Im ›wirklichen Leben‹ schlagen
Algorithmen häufig fehl, sind ihre Interaktionen und Operationen chaotisch.
Besonders häufig ist dies der Fall, wenn sie sich in einer Zwischenlage algo-
rithmischer oder nicht algorithmischer Akteure wiederfinden, hier tendieren
sie dazu von ihrer anfänglichen Zielvorgabe abzuweichen, ganz so wie andere
Akteure auch.
Das Auftauchen von Fehlern hängt folglich mit der Komplexität der Inter-
aktionen zusammen. Dabei handelt es sich nicht nur um Face-to-Face- oder
Face-to-Screen-Interaktionen, sondern um ganze Assemblagen weit verzweig-
ter Interaktionen, die ihren Teil zur Erzeugung von Fehlern und Defekten bei-
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik