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1. Was sind Algorithmuskulturen? 31
Intention« gleichkommt (Heinich 2009: 35). Es ist gerade die Mehrdeutigkeit
der Algorithmuskulturen, die sie für die Sozial- und Kulturwissenschaften so
relevant machen. Die Erzeugung, Verwendung und Fehlerhaftigkeit algorith-
mischer Systeme werden durch kulturelle Narrative stabilisiert, die wiederum
auf wirkmächtige Erwartungen des kulturellen Imaginären zurückgreifen.
Um diese konstitutive Spannung zwischen konkreten Praktiken und ideellen
Vorstellungen über Algorithmuskulturen zu erfassen, ist es freilich nicht aus-
reichend, einerseits die Narrative derjenigen zu beachten, die algorithmische
Systeme anpreisen und bewerben und andererseits die Narrative derjenigen zu
fokussieren, die konspirative Ängste mit ihnen verbinden. Es bedarf darüber
hinaus der Fokussierung auf die algorithmischen Praktiken selbst, denn hier
werden die Fehlschläge und Defekte der Algorithmen am ehesten sichtbar.
die KultiVierung algorithmischer mehrdeutigKeit
Algorithmuskulturen sind Interaktionskreisläufe in die verschiedenste huma-
ne und nicht-humane Akteure involviert sind. Dieser Umstand konstituiert
ihre Vieldeutigkeit und macht es so schwierig Handlungsträgerschaft und
Verantwortung klar zu fixieren. Daher stellen algorithmische Interaktions-
kreisläufe nicht allein die Kultur- und Sozialwissenschaften vor Herausforde-
rungen. Die Deutungen variieren stark und die Verteilung von Handlungs-
trägerschaft sowie die Zurechnung von Verantwortung bewegen sich entlang
der jeweiligen epistemischen Konstitution der Interpreten und sind freilich
auch abhängig von der jeweiligen Fokussetzung auf spezifische Ereignisse.
Während einige Autoren den Blick allein auf die rein algorithmischen Interak-
tionen lenken (Miyazaki in diesem Band; MacKenzie 2015; Knorr-Cetina 2013),
ersinnen andere eine Form verstreuter Funktionalität zwischen Menschen
und Algorithmen, eine »gemischte Automation« (Beunza/Millo 2015). Andere
wiederum gehen gar so weit Algorithmen als bloße Instrumente menschlicher
Handlungen zu begreifen (Reichertz 2013). Insbesondere politische Systeme
greifen auf letzteres Verständnis zurück, vor allem dann, wenn etwas schief-
geht und verantwortliche Akteure genannt werden müssen. Die Deutung des
Flashcrashs von 2010 seitens der Security Exchange Commission in den USA ist
hier ein treffendes Beispiel. Die Schnelligkeit des Kurssturzes und die ebenso
schnell darauffolgende Erholung der Kurswerte, führte dazu die Verantwort-
lichkeit in den algorithmischen Interaktionen der Hochfrequenzhändler zu
suchen. Vor allem frühzeitige Interpretationen sahen in dem Ereignis ein
neues Phänomen, das von den Wechselwirkungen komplexer technologischer
Systeme herrühre (›hot potato effects‹). Im Verlauf der Zeit wurden dann je-
doch zunehmend menschliche Akteure als Verantwortliche in Betracht gezo-
gen. Vergleicht man den ersten Bericht des CFTC und SEC vom 18. Mai (CFTC
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik