Page - 48 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
Image of the Page - 48 -
Text of the Page - 48 -
Lucas D.
Introna48
Es gilt festzuhalten, dass von Beginn an die Bezeichnung Impression be-
nutzt wurde. Schon die Bezeichnung zeigt an, wie die Werber die Wirkung
auf die Subjekte und deren Positionierung innerhalb des soziomateriellen
Ganzen deuteten. Der Zweck der Werbung besteht darin, einen Eindruck auf
das Subjekt zu machen, es zu prägen – und das wiederum heißt, es zu einem
beeindruckbaren Subjekt zu machen. Dieser Versuch die Wege des Blickes
des Subjektes zu bestimmen, blieb nicht unbemerkt und freilich auch nicht
unangefochten. Einige Prodigy-Nutzer überklebten angeblich das untere
Fünftel ihres Screens mit einem Stück Papier oder Plastik – das war mög-
lich, da dieses sich in einer festen Position befand. Die Vorhersehbarkeit und
Verlässlichkeit des Blicks spielten auf beiden Seiten eine Rolle. Es ist nahelie-
gend, dass die Nutzer ungern für einen Service zahlten, der gleichzeitig ver-
suchte, sie zu manipulierbaren Subjekten zu formen. Allerdings scheint es,
dass es bereits einen ›impliziten‹ Deal gab, auch wenn die Nutzerinnen sich
dessen möglicherweise nicht bewusst waren. Im Jahr 1991 gab ein Manager
von Prodigy zu verstehen:
»Jedes Mal wenn Sie unseren Dienst nutzen, um ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen,
ein Onlineticket zu buchen, eine Rechnung zu bezahlen, eine Aktie zu handeln, Blumen
zu verschicken oder Briefmarken zu kaufen, helfen Sie dabei, die Fortführung einer Pau-
schalgebühr sicherzustellen.«6
Es handelte sich hierbei um eine Reaktion auf die Empörung, die einsetzte
als Prodigy begann, 25 Cent für jede zusätzliche Mail zu verlangen, sobald ein
Nutzer das monatliche Limit von 30 Mails überschritten hatte. Das Angebot
bestand also darin, dass der Nutzer alle Dienste in Anspruch nehmen konnte
(EMail, Forum etc.) solange er nur einkaufte und das bedeutet in unserem
Kontext: ein beeindruckbares Subjekt zu werden.
Andere Dienste wie AOL offerierten ebenso standardmäßig GUIs, die die
Hervorbringung des blickenden Subjektes und so auch die Produktion von ver-
käuflichen Impressionen ermöglichten. Für die Werber bestand das Problem
nun aber darin, dass diese kuratierten und choreographierten Standorte einem
eingegrenzten Publikum unterbreitetet wurden, das lediglich aus den Nutzern
bestand, die Abonnenten ihres kostenpflichtigen Services waren. Was also nötig
wurde, war ein einheitliches und universelles, plattformübergreifendes GUI,
das für alle verfügbar war – kurz: ein generell und breit verfügbares ›Shopping-
Fenster‹ für Internetinhalte (das also, was wir heute einen World Wide Web
Browser nennen): ein universelles und standardisiertes Fenster für Inhalte, das
6 | https://w2.eff.org/Net_culture/Virtual_community/prodigy_gaffin.article (zuletzt
aufgerufen am 20. Februar 2016).
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik