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Lucas D.
Introna54
Im Jahre 1994 veröffentlichte Netscape einen Internetbrowser, der mit den
sogenannten ›Cookies‹ eine neue Technologie eingebaut hatte.14 Deren voll-
ständige Bezeichnung lautete ›Persistent Client State HTTP Cookies‹ (Kris-
tol 2001). Als Teil der Entwicklung von Anwendungen für den elektronischen
Handel war es ihre Aufgabe, das praktische Problem des Speichermangels
innerhalb der Klient-Server-Beziehungen zu lösen. Vor der Entwicklung von
Cookies war jede wiederkehrende Interaktion zwischen Kunde und Server
stets so wie die erste Interaktion, ganz so, als würde man einen Warenauto-
maten bedienen. Die Computerwissenschaftler sprechen diesbezüglich von
›Zustandslosigkeit‹. Die Interaktion ist ›zustandslos‹ in dem Sinne, dass jede
Anfrage vollkommen unabhängig von den vorhergegangenen bearbeitet wird.
Dies ist ein wesentliches Konstruktionsmerkmal des Netzwerkes, das diesem
ein erhebliches Maß an Flexibilität und Belastbarkeit ermöglicht. Allerdings
verhinderte die Zustandslosigkeit, dass die multiplen Interaktionen in einer
mehrstufigen Transaktion zusammengehalten bzw. gebündelt werden konn-
ten, so wie es beispielsweise bei einer Transaktion im elektronischen Handel
gang und gäbe ist. Um diesen Mangel eines interaktionellen Verlaufsgedächt-
nisses zu beheben, wurde der Cookie (eine Art provisorischer Identitätsmarke)
auf dem Kundenrechner platziert, sodass dieser identifiziert und Informa-
tionen über den Interaktionsverlaufs des Kunden archiviert werden konnten.
Mithilfe dieser Informationen konnte der Server das Interaktionsverhalten des
Kunden zurückverfolgen, falls dieser wiederkehrte. Wenn ein Browser oder
Nutzer zum Beispiel die Webseite der New York Times (Server) besucht, plat-
ziert dieser einen Cookie auf dem Rechner, von dem die Anfrage kam (Kunde).
Einzig und allein die New York Times (NYT) kann den Cookie in der Folge
lesen oder aktualisieren – dieses Sicherheitskonzept wird Gleiche-Herkunft-
Richtlinie genannt. Dies erscheint insofern sinnvoll, als der Browser/Nutzer
die Interaktion durch den Besuch der NYT Webseite eigens initiierte und da-
von auszugehen ist, dass er sich den Ablauf zukünftiger Interaktionen im Falle
seiner Wiederkehr möglichst reibungs- und mühelos wünscht.
Indes, mit der Nutzung externer Adserver (third-party ad-server), interagiert
der Browser indirekt (und unwissentlich) mit Dritten, (die in die Inserierung
von Werbeanzeigen involviert sind, welche zwischen die Inhalte der NYT ge-
schaltet werden). Mit der Cookie-Technologie von Netscape sind diese dritten
Parteien (bspw. Adserver) ebenso in der Lage, Cookies auf dem Rechner des
Browsers zu lesen und zu platzieren. Folglich kann der Adserver jedes Mal,
wenn der Browser eine Webseite eines der Kunden des Adservers oder der ent-
sprechenden Werbeagentur besucht, seine Cookie-Aufzeichnungen aktualisie-
ren. Das ermöglicht dem Adserver die Erstellung eines umfassenden Bildes der
Webseitenbesuche eines Browsers, was wiederum bedeutet, dass er ohne Wis-
14 | Der Browser von Netscape baute auf dem Mosaic-Browser auf.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik