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Lucas D.
Introna64
notwendiger Zweck sie sind. Die Kreation der grafischen Benutzeroberflächen
(GUI) von Prodigy oder die Erstellung des World Wide Web Browsers (Mosaic)
bedeuten nicht lediglich die Herstellung nützlicher Interfaces, sie sind ebenso
und zeitgleich Mechanismen der Disziplinierung des Blicks. Es sind Mecha-
nismen, um den Blick einzufangen und zu fixieren und so ein Subjekt zu er-
schaffen, das dem zur Schau gestellten Aufmerksamkeit schenkt. Dieser Blick
fließt nicht unidirektional, und bedeutet, wie Foucault betonte, mehr als das
bloße Anschauen von etwas (Foucault 2003).24 Der Blick schafft eine Wissens-
beziehung, in welcher das Subjekt konstituiert wird, der Blick reduziert nicht
mehr, »er begründet vielmehr das Individuum in seiner irreduziblen Qualität«
(Foucault 1999: 12).
Die Hypertext- oder Hyperlinkstruktur erlaubt es dem Subjekt, die auf der
grafischen Benutzeroberfläche erscheinenden Inhalte dynamisch zu kuratie-
ren, während sie oder er die weiten Inhalte des Internets durchquert. Diese
Kuration gewährleistet Relevanz. Der Bildschirm hält den Blick fest, weil er ›ab-
schirmt‹, er filtert und organisiert, was vermeintlich relevant ist. Die kuratier-
ten Bewegungen im Internet produzieren das Wissen, das es den Algorithmen
erlaubt ein Subjekt zu erschaffen, das ›Interessen‹, ›Bedürfnisse‹ und ›Wün-
sche‹ hat. Das anklickbare Bild verwandelt das Subjekt von einem passiven
Zuschauer in ein angeregtes und partizipierendes Subjekt – ein Subjekt, das
selbst an der Kuration mitwirkt. Das Subjekt kuratiert nicht allein die Inhalte
auf dem Bildschirm mit, sondern insbesondere auch die Werbung, die dort
gezeigt wird. Adserver (besonders die Adserver Dritter) nutzen Klickraten zur
Optimierung von Werbeanzeigen. Diese Kuration von ›Inhalten‹ durch das an-
geregte Subjekt betrifft allerdings nicht allein das, was auf dessen Bildschirm
erscheint, es ist gleichzeitig auch die Kuration des beeindruckbaren Subjektes,
zu dem die Zuschauerin selbst wird. Die Entwicklung der Cookie-Technologie
löst das Problem der zustandslosen Protokolle, aber sie tut noch mehr. Von
Third-party-adservern platzierte Third-party-cookies erlauben es aus den kura-
tierten Bewegungen durch das Internet (die durch die Hyperlinkstruktur er-
möglicht werden), individuierte ›Pfade‹ oder Spuren des ›Wer‹ zu machen, zu
dem das surfende ›Ich‹ wird. Die Surfenden kuratieren nicht nur Inhalte, sie
kuratieren auch eine riesige Menge an Wissen über ihre vermeintlichen ›Inte-
ressen‹, ›Bedürfnisse‹ und ›Wünsche‹. Durch Animierung, Kuratierung und
Nachverfolgung wird ein intimes Set an Wissen über das vermutete Subjekt
geschaffen. Durch dieses Feld des Wissens kann das Subjekt zugänglich für
Intervention und Regulierung gemacht werden – es kann positioniert oder auf
spezifische Arten und Weisen regiert werden (Foucault 1991). Wie Foucault
24 | In Die Geburt der Klinik spricht Foucault vom ärztlichen Blick, aber dies gilt auch
für den Blick des Subjekts auf sich selbst, wie Rose (1999) anmerkt.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik