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erquoten nicht nur von Branchenexperten in Anspruch genommen, sondern
ebenso von einem breiteren Publikum. Sie flossen in die Werbung ein – »Die
Nummer 1 an der Abendkasse!« – und zirkulierten allgemein in den Kultur-
berichterstattungen der Unterhaltungspresse. Zeitungsrubriken, die sich Bü-
chern oder Filmen widmeten, begannen Bestsellerlisten und Absatzzahlen
von den Abendkassen zu vermelden und berichteten über die wöchentlichen
Spitzenreiter, wie sie über Wahlen berichteten. Fachmagazine wie Billboard
oder Variety, die bestimmte Industrien und Branchen behandeln, expandier-
ten zunehmend, um auch eine nicht mit den jeweiligen Branchen assoziierte
Leserschaft anzusprechen. Populäre Zeitschriften wie TV Guide, Entertain-
ment Weekly, und Rolling Stone veröffentlichen Ranking- und Absatzdaten di-
rekt neben ihren Artikeln und Rezensionen. Ein Medien-Fan zu sein bedeutet
mehr und mehr zu wissen, wie viel Geld ein Film am Wochenende seines Ki-
nostarts einspielte, welche Show die meisten Zuschauer in ihrem Zeitfenster
hatte oder welches Album das beste Debüt hinlegte.
Möglicherwiese ist die über Jahre laufende und von Casey Kasem mode-
rierte Radiosendung American Top 40 das hierfür eindrucksvollste Beispiel.
Das Konzept der Sendung orientierte sich an den zu dieser Zeit aufkommen-
den »Top 40«-Radiostationen, die ausschließlich die 40 populärsten Hits der
Woche in den USA spielten. Dabei wurde auf die Daten von Billboards »Top
100« Single-Charts zurückgegriffen. Die Sendung wurde schnell begeistert
angenommen – sie startete am 04. Juli 1970 auf sieben US-Amerikanischen
Radiostationen und war zu ihren populärsten Zeiten an über 1.000 Radiosta-
tionen in über 50 Ländern angeschlossen. In den folgenden Jahrzehnten sollte
sie einen riesigen Einfluss auf die amerikanische Musikkultur ausüben. In
Zeiten vor MTV, digitalen Downloads und Musik-Streaming-Diensten, war die
Sendung eine der wenigen Gelegenheiten, die populärsten Songs des Landes
zu hören. Zudem offerierte sie den Zuhörerinnen das Vergnügen mit zu verfol-
gen, welche Songs an Popularität gewannen und welche verloren und welcher
Song letztlich als Nummer 1 der Woche gekrönt werden sollte (Weisbard 2014).
Dies war nicht das erste Mal, dass Verkaufszahlen aus der Musikbranche
als ein kultureller Beitrag an die Zuhörer zurückgeleitet wurden. Lokale Radio-
stationen hatten bereits begonnen, Countdowns zu übertragen, allerdings wa-
ren sie in ihren Maßstäben auf regionale Zuhörergruppen begrenzt. American
Top 40s direktester Vorgänger Your Hit Parade, eine Sendung die von 1935 bis
1953 als Radiosendung und während der 50er als Fernsehsendung existierte,
übertrug Studioaufnahmen von Musikerinnen und Sängern, die die landes-
weit populärsten Songs darboten. In der Bestimmung von Popularität war Your
Hit Parade vorsichtiger. Die Ermittlung der Popularität beruhte auf einer ›au-
thentischen Aufstellung‹ der Befragungen von US-Amerikanischen Zuhörern,
Jukebox-Anbietern und Musiknotenverkäufern, die von American Tobacco, dem
Sponsoren der Show, durchgeführt wurden.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik