Page - 96 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
Image of the Page - 96 -
Text of the Page - 96 -
Tarleton
Gillespie96
Challenge dominiert wurde. Was, wenn gerade das was wir begehren, unseren
Untergang bedeutet?
Manchmal sind Trending-Algorithmen selbst in solcherlei Anfechtungen
involviert, mitunter werden sie in Folge dieser Debatten sogar neu designet.
Twitter-Trends bietet die Möglichkeit an darüber zu diskutieren, was auf Twit-
ter Trends erscheint oder noch wichtiger: was dort nicht erscheint. Manche
sagen, es zelebriere popkulturellen Müll und alberne Hashtag-Spiele; andere
haben Twitter Trends bezichtigt wichtige Themen zu übersehen. Ich habe an
anderer Stelle (Gillespie 2012) über die Bedenken geschrieben, die von poli-
tischen Aktivist_innen im Rahmen der Occupy Wall Street-Proteste sowie
der Veröffentlichung geheimer Dokumente von Wiki-Leaks geäußert wurden,
wenn ein allem Anschein nach populärer Begriff nicht zum Trend wird. Die
Klagen über »Zensur« überschatten komplexere und tiefer gehende Fragen
zu der Funktionsweise von Algorithmen – wie diese Popularität messen und
welche Vermutungen Nutzerinnen darüber aufstellen, was dort erscheint
und was nicht. Allerdings schwingen diese Bedenken stets mit, denn Trends
sind machtvolle und wichtige Messinstrumente des Populären und werden in
der Breite auch so wahrgenommen. Die Kritiken der Occupy-Protestierenden
mögen falsch gelegen haben hinsichtlich der Frage, warum ihr Hashtag es
nicht zum Trend schaffte. Wenn CNN und große Teile der Öffentlichkeit aller-
dings davon ausgehen, dass Trend = Wichtigkeit bedeutet, waren ihre Sorgen
zumindest nicht unbegründet.
metriKen Können eine Plattform bereitstellen,
um Über uns selbst als Öffentlichkeit nachZudenKen
Die Messungen des Populären erheben den Anspruch, die Öffentlichkeit und
deren Geschmäcker darzustellen; allerdings wäre es akkurater zu formulieren,
dass sie ausgehend von der Behauptung geteilter Präferenzen eine vorüberge-
hende Öffentlichkeit ins Leben rufen. Wie Raymond Williams anmerkte: »Es
gibt in der Tat keine Massen, es gibt nur Möglichkeiten Menschen als Massen
zu betrachten.« (Williams 1972: 359) Ob wir diese Metriken nun als Wider-
spiegelungen oder Konstitution der Öffentlichkeit betrachten, sie werden of-
fensichtlich sowohl von Brancheninsidern als auch von Empfängern als etwas
wahrgenommen, das etwas über die Öffentlichkeit aussagt. Ein Publikum
wird ins Blickfeld gerückt und lesbar gemacht: Die Zuhörer von American Top
40 glauben etwas über ihre Mitzuhörer und über die Kultur zu wissen, an der
sie teilnehmen.
Die Algorithmen der sozialen Medien generieren »kalkulierte Öffent-
lichkeiten« (Gillespie 2014): sie unterstellen eine Gruppe von Personen die
vermessen oder eingeschätzt wurde, welche sodann als Begründung dafür die-
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik