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3. #trendingistrending 97
nen, warum dieser Gruppe bestimmte Inhalte als relevant präsentiert werden.
Das gilt sowohl für Such- als auch für Empfehlungsalgorithmen, und es trifft
auch auf Trending-Algorithmen zu: Wenn Suchresultate zu unserer Anfrage
zurückkommen, gibt es eine unbestimmte Population an Nutzern, die diese
Webseite als relevant wahrgenommen hat und ihre Bewertung in Spuren wie
Links oder vergangenen Klicks hinterlassen hat. Wenn ein Film auf der Basis
»Leute wie Du« empfohlen wird, genießen die Nutzerinnen einen Einblick in
eine Öffentlichkeit, zu der sie offensichtlich gehören – allerdings genießen sie
diesen Einblick nur durch die algorithmischen Ergebnisse, die auf eben dieser
Basis bereitgestellt wurden. Trending-Algorithmen machen die Behauptung
einer errechneten Öffentlichkeit expliziter: genau das lesen ›wir‹ gerade; hierü-
ber twittert meine Stadt oder mein Land gerade; das ist die Musik, die Amerika
heute hört.
Wer oder wann als diese Öffentlichkeit existiert, ist derweil weniger ein-
deutig. Während American Top 40 explizit erklärte, dass sich ihr Ranking auf
die Billboard-Charts stützte, wurden keine genaueren Informationen dazu
übermittelt, wie Billboard diese Charts erstellte – es war auch für das Erleben
der Sendung nicht relevant. Man muss schließlich nicht wissen, wie Billboard
Verkaufszahlen misst, um den Countdown zu genießen.
Obwohl es vage und unklar blieb, wer gemessen wurde, erzählte uns die
Sendung ohne Unterlass, um was es ging und für wen – es war Teil der Per-
formance. Schon aus dem Namen und dem blau-weiß-roten, mit Sternen
geschmückten Logo wurde ersichtlich, dass es hier um eine amerikanische
Öffentlichkeit ging.
Die Sendung führte Amerika durchgehend auch als dessen räumliches
Imaginäres auf: von der Tagline »Die Hits von Küste zu Küste«, zu Kasems Be-
grüßung neu angeschlossener Radiostationen, bei der er stets Stadt und Bun-
desstaat anführte und auch regelmäßig und stolz hervorhob, dass die Show
auch im US-amerikanischen Soldatenradio (American Armed Forces Radio)
ausgestrahlt wurde; bis hin zu so blumigen Zwischenbemerkungen wie »von
der felsigen Küste Maines zu den sandigen Ufern Hawais«. Bei der Show ging
es nicht nur um das hören gegenwärtig populärer Songs, sondern auch um die
Aufführung Amerikas.
›Twitter Trends‹ zeigt an, welche Region vermessen wird, ich könnte »Bos-
ton Trends«, »United States Trends« oder jede beliebige von Twitter angebote-
ne Region wählen, ganz gleich ob ich dort wohne oder nicht. Wie Twitter diese
Orte oder Sets von georteten Nutzern genau eingrenzt bleibt unklar. Für viele
Trending-Algorithmen gilt allerdings, dass ›Amerikanität‹ vorausgesetzt oder
als Voreinstellung aufgeführt wird. Die Betonung Amerikas in American Top
40 ähnelt eher Trend-Infographiken, die Suchdaten von Pornhub oder Check-
ins von Foursquare sortieren und die Suchdaten immer wieder auf die Umrisse
der 50 Bundesstaaten zurückprojizieren. Dieses Vorgehen stellt eine durch-
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik