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Jean-Samuel Beuscart und Kevin
Mellet116
breite Auswahl an Möglichkeiten und minimiert gleichzeitig die Gefahr un-
willkommener Überraschungen:
Ich muss zugeben, dass LaFourchette mir erlaubt hat, mein Adressbuch ein wenig umzu-
krempeln, das heißt, Adressen mit hinzuzunehmen … von Restaurants, in die ich vorher
nie gegangen wäre. (E26)
Es stimmt schon, dass diese Art von Anwendung uns als Konsumenten verändert hat
… jetzt würde ich nicht mehr aufs Geradewohl in irgendeinem Restaurant essen gehen.
(E11)
Diese positiven Erfahrungen basieren auf einer Reihe von Lesemustern, die
die meisten Nutzer verwenden. Um eine Vorstellung von einem Restaurant
zu bekommen, kombinieren sie die Informationen, die auf der Seite verfügbar
sind (Bewertung, Kritik, Fotos, Speisekarte etc.), aber beschränken ihren Ein-
druck nie nur auf die Bewertung. Sie lesen die Kritiken, zumindest die zehn,
die auf der ersten Seite zu sehen sind, und suchen oft mehrere Seiten auf. Aber
obwohl sie ihre Wahl aufgrund einer Kombination der verschiedenen Kriterien
treffen, scheint diese stark durch eine gute Durchschnittsnote als primärem
Kriterium beeinflusst zu werden. Zum Beispiel nannten zwei Drittel der Teil-
nehmer einen Punktestand, unterhalb dessen sie ein Restaurant gar nicht erst
in Erwägung ziehen würden: am häufigsten 8/10, für einige 7,5, für andere
8,5. Man bedenke dabei, dass die Durchschnittsnoten auf diesen Seiten recht
hoch liegen: Der Median der Bewertung ist 4/5 auf TripAdvisor und 8/10 auf
LaFourchette. Die meisten Nutzer ziehen Restaurants unterhalb des Rangs 8
oder niedriger nicht in Erwägung und beschränken ihre Auswahl auf die am
besten bewerteten Restaurants. So verlassen sich die meisten Nutzer auf die-
se typischen und üblichen Beurteilungsmuster und betrachten die Erfahrung
einer durch diese Seiten empfohlenen Auswahl als verlässlich und lohnend.
Interessanterweise steht dies in deutlichem Kontrast zu journalistischen
Berichten über Online-Rezensionen, die vor allem das Problem von »Fehlinfor-
mationen« und »bewusster Täuschung« thematisieren.2 Zu keinem Zeitpunkt
brachten unsere Interviewpartner während der Interviews Misstrauen bezüg-
lich von Fake-Rezensionen zu Ausdruck. Auf Nachfrage erkannten sie an, dass
einige Meinungen zuweilen dubios erscheinen mögen, dass dies aber nie die
Verlässlichkeit ihres Urteils beeinträchtige, da ja die Rezensionen stark über-
einstimmten und verhältnismäßig zahlreich seien (mindestens 20 bei einigen
Nutzern, bis zu 50 bei anderen). Dies trifft insbesondere auf LaFourchette zu,
wo Rezensionen ja in Verbindung zu Reservierungen im Restaurant stehen,
2 | Bezüglich des Problems von Schummeleien auf Bewertungsseiten vgl. Reagle
(2015).
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Title
- Algorithmuskulturen
- Subtitle
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Author
- Robert Seyfert
- Editor
- Jonathan Roberge
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Size
- 14.8 x 22.5 cm
- Pages
- 242
- Keywords
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Category
- Technik